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Abrüstung: Angst vor dem Friedenstifter

Die USA und Russland unterzeichnen an diesem Donnerstag ein Abkommen über nukleare Abrüstung. Die mittelosteuropäischen Staaten sehen die Annäherung Obamas an Moskau mit Sorge.

Vor der Unterzeichnung der Prager Deklaration wächst in den mittel- und osteuropäischen Staaten die Verunsicherung darüber, welche Rolle sie bei der künftigen Sicherheitsarchitektur spielen werden. Das Start-Nachfolgeabkommen zur nuklearen Abrüstung zwischen den USA und Russland weckt Befürchtungen, dass die kleinen Staaten im Osten Europas in der Sicherheitspolitik auf der Strecke bleiben könnten. Um solche Befürchtungen zu zerstreuen, will US-Präsident Barack Obama am Donnerstagabend mit zahlreichen Staatsoberhäuptern und Regierungschefs aus dieser Region zusammentreffen.

In Polen, Tschechien und auch den baltischen Staaten ist seit 1989 eine starke transatlantische Bindung entstanden. Die USA als wichtigster Verbündeter gelten als Schutz vor den befürchteten Großmachtansprüchen Russlands. Dass Amerika gerade in Polen und Tschechien sein Raketenabwehrsystem stationieren wollte, wurde in den mitteleuropäischen Staaten als Vertrauensbeweis aufgefasst. Seitdem Obama allerdings vor einigen Monaten das vorläufige Ende des früheren Prestigeprojekts verkündete, verbreitet sich bei den beteiligten Regierungen Ernüchterung. Dass sich die Vereinigten Staaten ausgerechnet in dieser Phase mit Russland über eine weitere Abrüstung einigen, sorgt für Befürchtungen vor einer allzu engen Annäherung. „Viele dieser Länder fühlen sich von der neuen US-Regierung stiefmütterlich behandelt“, sagt Petr Kratochvil vom Prager Institut für Internationale Beziehungen. Die Sorge sei, dass die mittelosteuropäischen Länder in der amerikanischen Strategie keine Rolle mehr spielten und sich die gesamte Aufmerksamkeit der USA jetzt auf Russland richten könnte.

Dass der Abrüstungsvertrag ausgerechnet in Prag unterzeichnet wird, werten Beobachter als symbolischen Akt: Weil Obama hier vor einem Jahr seine Vision einer atomwaffenfreien Welt vorgestellt hat, wolle er nun das Start-Abkommen in diese Tradition stellen. „Tschechien ist auch gut geeignet, weil es ein osteuropäisches Land ist, das aber gleichzeitig Mitglied der westlichen Allianz ist“, sagt Politologe Petr Kratochvil. Prager Diplomaten sind indes bemüht, Tschechien nicht als neutrales Land erscheinen zu lassen. „Wir wollen keine Brücke zwischen Ost und West sein, sondern wir sind fest in der Nato verankert“, betont Filip Kanda, der Sprecher des Außenministeriums.

Für Aufsehen hatte bereits im vergangenen Jahr ein offener Brief gesorgt, den frühere Dissidenten und Staatschefs aus Mittelosteuropa an Barack Obama geschrieben haben. Zu den Unterzeichnern gehörten neben dem einstigen tschechischen Präsidenten Vaclav Havel auch sein früherer polnischer Amtskollege Alexander Kwasniewski und zahlreiche weitere Nach-Wende-Politiker aus der Region. „Russland ist eine revisionistische Macht, die Ziele aus dem 19. Jahrhundert mit der Taktik und den Methoden des 21. Jahrhunderts verfolgt“, schrieben sie unter dem Eindruck des russischen Einmarsches in Georgien. Wegen der zunehmenden Annäherung zwischen Russland und Amerika machten sie sich Sorgen über das westliche Verteidigungsbündnis. „Die Nato scheint heute schwächer als zu dem Zeitpunkt, an dem wir beigetreten sind“, heißt es in dem Brief: „Die Menschen fragen sich, ob die Nato in einer künftigen Krise willens und in der Lage wäre, uns zu verteidigen.“ Auch die europäische Abhängigkeit von Russlands Energieressourcen lasse die Sorgen über den Zusammenhalt der Allianz entstehen.

Vor dem Gipfeltreffen von Obama und seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew in Prag werden diese Befürchtungen vielerorts wieder laut. Um die Wogen zu glätten, hat Obama unmittelbar im Anschluss an die Unterzeichnung des nuklearen Abrüstungsvertrags ein Treffen mit den mittelosteuropäischen Staats- und Regierungschefs anberaumt. Bei einem Abendessen in der Prager Residenz des amerikanischen Botschafters will er ihre Befürchtungen zerstreuen und um Unterstützung für seine neue außenpolitische Linie werben.

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