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Politik: Abzug in der Nacht

Die palästinensische Bevölkerung feiert das Ende der Besatzung und lässt ihre Wut an den Gebäuden aus

Gaza - Die letzten Fahnen werden eingeholt, die letzten Lichter gelöscht, die letzten Behälter verladen. Pünktlich auf die Minute starten die Tieflader, die Lastwagen, Schützenpanzer, Jeeps. Alle Besatzungen haben nur das eine Ziel, im Schutz der Hubschrauber und der Dunkelheit mit ihren Fahrzeugen unbehelligt aus dem Gazastreifen nach Israel zu gelangen. Die restliche Nacht bleibt es ruhig, doch schon am nächsten Morgen stürmen Zehntausende die Trümmerhaufen, die noch vor drei Wochen jüdische Siedlungen waren. Sie jubeln, umarmen und küssen sich, Männer schießen in die Luft – und viele suchen in den Trümmern nach Brauchbarem: Türen, Fensterrahmen, Tischen und Stühlen. Die palästinensischen Polizisten, welche das Betreten der Siedlungsreste in den ersten drei Tagen nach dem israelischen Abzug verhindern sollten, lassen das Treiben geschehen und freuen sich mit.

Dann machen sich vor allem Jugendliche an mehreren Orten daran, die stehen gebliebenen Synagogen mit Vorschlaghämmern in Ruinen zu verwandeln und sie in Brand zu stecken. Aus palästinensischer Sicht gilt für fast alle der 22 ehemaligen Synagogen, was Palästinenserpräsident Mahmud Abbas wutentbrannt gesagt hat, als er den Beschluss der israelischen Regierung vernahm, die Synagogen stehen zu lassen. Nachdem die Israelis alle religiösen Symbole aus ihnen entfernt hätten, so der PLO-Chef, seien dies keine Synagogen mehr, sondern einfach nur leere Gebäude.

Im letzten Augenblick hatten die Israelis noch Hinweistafeln angebracht mit der Aufschrift: „Heiliger Ort“. Doch die Worte stehen im krassen Gegensatz zur zurückgelassenen Realität. Viele Gebäude sind verwüstet und abbruchreif – Ruinen, die keinerlei Heiligkeit mehr ausstrahlen. Das gilt zwar nicht für alle ehemaligen Synagogen. Doch auch diejenigen, welche als Gebäude noch intakt sind, werden das gleiche Schicksal erleiden. Nicht weil die palästinensischen Muslime Gebetshäuser der Juden zerstören wollen, sondern weil die palästinensische Bevölkerung und deren Regierung auch in den Synagogen die Symbole der 38 Jahre lang ertragenen, verhassten israelischen Besatzung sehen. Israels stellvertretender Ministerpräsident Schimon Peres wertete die jahrzehntelange israelische Präsenz im Gazastreifen als „historischen Fehler“ und fügte hinzu: „Ich bin stolz, dass Israel die Kraft aufgebracht hat, diesen zu korrigieren.“

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