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Politik: Abzug und Zerfall

Die letzten US-Soldaten verlassen Irak. Und die Aussichten für das Land werden immer düsterer.

Für Amerikas Soldaten ist das Kapitel Irak seit Sonntag abgeschlossen. Kurz nach Sonnenaufgang passierte der letzte Militärkonvoi mit 110 gepanzerten Fahrzeugen die Grenze zu Kuwait. Drei Tage zuvor hatten die Vereinigten Staaten auf ihrer zentralen Militärbasis in Bagdad im Beisein von Verteidigungsminister Leon E. Panetta ihre Fahne eingeholt. Erleichterung stand den letzten 500 Soldaten in den Gesichtern, als ihre Kolonne ohne Zwischenfälle den Schlagbaum passierte. Erleichterung herrschte auch im Weißen Haus – auch wenn die US-Präsenz am Tigris weiterhin beträchtlich bleibt. Schon jetzt ist die amerikanische Botschaft in Bagdad mit 8000 Mitarbeitern die größte in der ganzen Welt. In den kommenden Monaten wird sich ihr Personal auf mehr als 16 000 verdoppeln. Offiziell bleiben nur noch 200 Soldaten und Offiziere im Land stationiert. Sie sollen das Areal der diplomatischen Mission bewachen sowie die Waffenlieferungen der USA an den Irak vor Ort organisieren.

Hinter sich lassen die US-Truppen ein Land, das nach fast neun Jahren Krieg und Bürgerkrieg von normalen, zivilen und demokratischen Verhältnissen weit entfernt ist. Mehr als 100 000 Iraker haben seit dem Sturz von Saddam Hussein ihr Leben verloren. 4500 US-Soldaten starben. Invasion und Besetzung des Iraks kosteten den amerikanischen Steuerzahler mehr als 1000 Milliarden Dollar. Allein in den letzten beiden Jahren sprengten Terrorkommandos ein halbes Dutzend Ministerien im Herzen der irakischen Hauptstadt in die Luft. Zuletzt lag die Zahl der Anschläge noch bei 500 bis 750 pro Monat, ein Zehntel dessen, was das Zweistromland in den Jahren 2006 und 2007 zu verkraften hatte. Doch die Lage kann rasch wieder eskalieren. Denn die 900 000 irakischen Sicherheitskräfte, die künftig ohne US-Aufsicht agieren müssen, gelten zum großen Teil als unfähig und korrupt. Auch beim Wiederaufbau der Infrastruktur gibt es wenige Fortschritte. In Bagdad reicht der Strom nur für wenige Stunden am Tag. Viele Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Gezielte Morde, Entführungen und Erpressungen sind an der Tagesordnung. „Der Krieg ist zu Ende, aber nur für die Amerikaner“, schrieb der irakische Kolumnist Emad Risn in der staatlichen Zeitung Assabah al Jadeed. „Niemand aber weiß, ob er nun auch für uns Irakis zu Ende ist.“

So entließ der schiitische Premierminister Nuri al Maliki bereits Stunden nach Abzug der US-Truppen seinen sunnitischen Vizepremier Saleh al Mutlak, was das Ende des bisherigen, fragilen Machtarrangements zwischen den islamischen Konfessionen einläuten könnte – und damit eine neue Welle der Gewalt. Mutlaks Parteienbündnis „Il Iraqiya“, das bei den Wahlen im März 2010 knapp vorne lag, kündigte bereits an, die Arbeit im Parlament zu boykottieren. Premier Maliki strebe „eine Zentralisierung der Macht“ an, hieß es. Schiiten, Sunniten und Kurden nähern sich weiter nicht an. Die Verteilung der Öleinkünfte auf die Volksgruppen und Landesteile ist seit sechs Jahren nicht per Gesetz geregelt, denn die Kurden wollen ihre Einnahmen für sich behalten. Politiker der beiden größten sunnitischen Provinzen sprechen offen davon, ähnlich wie die kurdische Minderheit im Norden, auch für ihre Bevölkerung einen Autonomiestatus anzustreben. „Wir haben Stillstand, alles ist total gelähmt“, bilanzierte kürzlich Adel Abdul Mahdi, ein über die Parteigrenzen hinweg respektierter schiitischer Politiker und Ex-Vizepräsident des Landes. „Die Aussichten sind schlecht – und sie werden immer schlechter.“

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