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Politik: Ach, die Zukunft …

Auf seiner Sommerreise trifft Bundespräsident Rau viele junge Menschen. Und alle sehen schwarz – vom Banker bis zum Arbeitslosen

Von Markus Feldenkirchen,

Weimar

Vielleicht ist es kein Zufall, dass der Bundespräsident auf seiner Sommerreise mit Gottfried Benn begrüßt wird. „Kommt, reden wir zusammen. Wer redet, ist nicht tot", zitiert eine Gymnasiastin in Weimar den Dichter. Vielleicht ist das noch die hoffnungsvollste Erkenntnis, der sich Johannes Rau und die Jugend des Landes gegenseitig versichern: dass sie noch miteinander reden, dass sie noch leben. Zu mehr Zuversicht scheinen die jungen Menschen, denen der oberste Mann im Staate auf seiner viertägigen Sommerreise gegenübersitzt, derzeit nicht in der Lage.

Insofern ist das mit Gottfried Benn, dem Dichter der Düsternis, schon passend. Wen Johannes Rau auch auf seiner Sommerreise trifft – fast alle sind auf ihre Weise von Angst geplagt. Dem Nachwuchsbanker in Frankfurt bereitet die hohe Leasingsteuer Kopfzerbrechen, der Arbeitslose aus Bad Hersfeld fühlt sich von Arbeitsämtern verschaukelt, und den Gymnasiasten plagt ein Weltschmerz, der Rau eigentlich Tränen in die Augen steigen lassen müsste.

Lucian, Ziegenbartträger und Abiturient aus Weimar, kann sich offenbar nicht mehr gegen den eigenen Pessimismus wehren. In den Nachrichten geht der Wirtschaftsstandort jeden Tag ein Stück mehr unter. Wenn er dann ins eigene Elternhaus oder das seiner Freunde blickt, werden die abstrakten Zahlen konkret. „Entweder die Leute ackern ohne Ende oder aber sie sind schon arbeitslos“, sagt er. „Wo man hinguckt, alles deprimierend. Man kämpft doch ständig gegen die innere Resignation an.“ Johannes Rau muss in diesem Moment ernsthaft mit sich selbst kämpfen. Schließlich ist er in Lucians Alter durch das zerstörte Nachkriegsdeutschland gelaufen und hatte weniger Zukunftsangst.

Dabei ist der junge Mann nicht der einzige, der klagt. Am Vortag saß Rau im 35. Stock des Deutsche-Bank-Towers in Frankfurt und um ihn herum die so genannte Führungselite von morgen: Mittzwanziger, mit pomademodellierten Haaren, silbernen Krawattennadeln und blank polierten Schuhen. Spätestens nach zehn Minuten wird Rau gemerkt haben, dass er sich genauso gut mit dem Bankvorstand hätte treffen können, der sonst in diesem Raum tagt. Die jungen Leute stimmen den Lobgesang der wirklich freien Marktwirtschaft an. Die Reformagenda 2010 könne ja nur ein „erster Milestone“ sein, sagt ein großer Blonder, der sich später vom Präsidenten weniger Leasingsteuer wünscht.

Da unterscheiden sich die Spitzenverdiener von morgen von den gegenwärtig Arbeitslosen. Die trifft Rau nur eine Stunde später in der Jugendwerkstatt „Boje“ von Bad Hersfeld. Sie erzählen von Schulden, von Sozialämtern, die so knausrig sind „als ginge es um ihr eigenes Geld“, von unzähligen Bewerbungen, die am nächsten Tag wieder zurückkommen. Mit jeder Enttäuschung verdichtet sich für sie das Bild vom unfairen Staat, der lieber teure Polizeiautos kauft und Umgehungsstraßen baut, statt die Arbeitsämter mit noch mehr Fördermitteln auszustatten. Im Laufe des Gesprächs kratzt sich Johannes Rau immer intensiver am Ohr. Warum sie sich nicht in der Politik engagieren, etwas tun, fragt der 72-Jährige. „Das ist, wie wenn man vor einem riesigen Berg steht“, sagt Florian, 22, der mal Gerüstbauer werden will. „Da komm ich im Leben nicht hoch.

Auch über die Zukunft des Bundespräsidenten selbst sind sich übrigens alle unsicher – nur er sich nicht. Zu einer zweiten Amtszeit sagte er am Freitag im Rundfunk, er habe die Entscheidung „getroffen, aber noch nicht ausgesprochen“.

Markus Feldenkirchen[Weimar]

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