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Dass Putin Kleinkriege zu führen gewillt ist, hat er in Tschetschenien, Georgien und auf der Krim bewiesen. Die Frage ist, wie hoch das Risiko ist, das er einzugehen gewillt ist.

© AFP

Adam Krzeminski im Interview: „Wladimir Putin fehlt das Format“

"Das Herrschaftsprinzip Russlands hat keinen Respekt verdient", sagt der polnische Publizist Adam Krzeminski im Tagesspiegel-Interview. Der Einfluss Russlands schwinde. Julia Timoschenko sei eine Politikerin von gestern. Doch welche Chancen hat sie bei der Präsidentschaftswahl?

Herr Krzeminski, fühlen Sie sich gerade an den Kalten Krieg erinnert?
Nein. Im Kalten Krieg standen sich zwei Militärblöcke mit Atomraketen und Panzerdivisionen gegenüber. Damals gab es einen quasi religiösen Gegensatz zwischen Ost und West. Beide Lager waren nicht nur durch den Eisernen Vorhang getrennt, sondern auch durch eine ideologische Feindschaft.

Und heute?
Heute haben wir es nur mit dem Phantomschmerz einer ehemaligen Supermacht zu tun, der die Kolonien entflohen sind. Russland schlägt um sich, weil für Moskau die „weichen“ Machtinstrumente der Diplomatie – die „soft power“ – historisch nie eine Rolle gespielt haben. Aber seit 1989 gilt die Breschnew-Doktrin nicht mehr, die der Sowjetunion das Recht zur Intervention gab. Auch das Prinzip verbriefter Einflusszonen, auf das sich die Sowjetunion berief, ist obsolet.

Aber Russlands Präsident Wladimir Putin scheint das nicht so zu sehen.
Putin hat deutlich vor Augen, dass das russische Imperium im vergangenen Jahrhundert gleich zweifach zerfallen ist – 1917 und 1991. In beiden Fällen klappte es wie ein Kartenhaus zusammen – nach dem Rücktritt des Zaren und nach der Verhaftung Gorbatschows. Putin weiß, wie verwundbar der Solarplexus Russlands ist. Nur hat er keinen Stein der Weisen, wie man es anders machen könnte. Den Gashahn zudrehen und Soldaten marschieren lassen, das ist zu wenig. Und um sich mondän gelassen wie die Briten nach 1945 von der Rolle eines Weltpolizisten zu verabschieden, dazu fehlt ihm das Format.

US-Präsident Barack Obama hat Russland als „Regionalmacht“ verspottet.
Das ist kein Spott. Helmut Schmidt soll die UdSSR „Obervolta mit Atomraketen“ genannt haben. Eine Regionalmacht ist auch eine Macht.

Der Kiewer Ministerpräsident Arseni Jazenjuk hat angekündigt, sein Land im Fall einer russischen Militärintervention am südöstlichen Rand der Ukraine mit allen Mitteln zu verteidigen. Ist die Furcht vor einer russischen Invasion berechtigt?
Dass Putin Kleinkriege zu führen gewillt ist, hat er in Tschetschenien, Georgien und auf der Krim bewiesen. Die Frage ist, wie hoch das Risiko ist, das er einzugehen gewillt ist. Der frühere sowjetische Staatschef Leonid Breschnew intervenierte in Prag, hielt aber 1980 vor einer Intervention in Polen inne. Er baute eine Drohkulisse auf und übte Druck aus. Es gibt ja auch versteckte Interventionen, so wie das plötzliche Auftauchen der „grünen Männchen“ in nagelneuen russischen Uniformen auf der Krim. Der Aufmarsch entlang der ukrainischen Grenzen lässt Putin alle Optionen offen.

Strebt Putin nach der Krim auch die Annektierung Transnistriens an, das von der Ex- Sowjetrepublik Moldau abtrünnig ist?
Um was damit anzufangen? Noch so eine Enklave wie um Königsberg – um dann einen „Korridor“ zu fordern? Das ist doch alles absurd rückwärtsgewandt. Entweder öffnet sich Russland und entwickelt eine „soft power“ – oder es wird wirklich zum Gespött.

Besteht die Gefahr, dass sich der regionale Konflikt in der Ukraine zu einer kriegerischen Entwicklung zwischen der Nato und Russland ausweitet?
Nein, niemand ist daran interessiert. Es ist nicht das Jahr 1914 oder 1939.

Kommen wir zur innenpolitischen Lage in der Ukraine. Befindet sich das Land auf dem Weg in einen Bürgerkrieg?
Bis jetzt haben die Ukrainer in Ost und West bewundernswerte Selbstdisziplin angesichts der Farce des inszenierten Referendums auf der Krim gezeigt, das für das Land gleichermaßen eine militärische Provokation und Demütigung bedeutet. Die Ukraine hat es in den letzten zehn Jahren versäumt, transparente staatliche Institutionen zu schaffen und kohärente Reformen durchzuziehen. Doch die Ukrainer sind eine politische Nation im Werden. Natürlich gibt es sprachliche, kulturelle und historische Unterschiede im Land. Aber der Spaltpilz kommt von außen, durch die russische Fernsehpropaganda...

Wie konnte sich der Konflikt um die Ukraine überhaupt so hochschaukeln?

Adam Krzeminski
Adam Krzeminski

© Thomas Koehler/photothek.net

... und von innen: Die frühere ukrainische Premierministerin Timoschenko hat Todesdrohungen gegen Putin ausgesprochen.
Auch wenn es diesen Wutanfall nicht gegeben hätte, scheint klar zu sein, dass sie eine Politikerin von gestern ist. Im Gefängnis war sie eine Symbolfigur. Auf dem Maidan war sie blass. Auch sie steht für die Herrschaft der Oligarchen. Es ist fraglich, ob sie die Menschen im gesamten Land vor der Präsidentschaftswahl im Mai überzeugen kann.

Wie konnte sich der Konflikt um die Ukraine überhaupt so hochschaukeln? Ist die EU schuld mit ihrem Angebot eines Assoziierungsabkommens aus dem vergangenen Jahr?
Der Westen war in den vergangenen 25 Jahren seit dem Mauerfall sehr zurückhaltend. Er hat die Assoziierung recht halbherzig betrieben, und Kiew hat – unter den früheren Präsidenten Viktor Juschtschenko und Viktor Janukowitsch – seine Möglichkeiten einer Schaukelpolitik zwischen Russland und der EU mächtig überschätzt. Putin dagegen merkte, dass er die Modernisierung Russlands verpasste, genauso wie die Sowjetführer der siebziger und achtziger Jahre. Er schottete sich immer mehr gegen den Westen ab und liebäugelte mit China und seiner Eurasischen Union. Diese Union hätte aber ohne die Ukraine wenig Sinn.

Putin muss es jetzt als Provokation begreifen, dass die EU den politischen Teil des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine unterzeichnet und ihrerseits Fakten geschaffen hat.
Wäre es weise, mit verschränkten Armen zuzusehen, wie ein Land amputiert, gedemütigt und sich selbst überlassen wird? Die Ukraine bekommt einen Rettungsring zur Reform ihrer staatlichen Institutionen.

Wo sollten die Grenzen der Osterweiterung der EU liegen?
Dort, wo die Nachbarn der EU sagen: Wir wollen mit euch in Frieden leben, aber wir teilen eure Werte und Spielregeln nicht. Heute hört man das aus Moskau, Minsk und manchmal auch in Istanbul. Aber nichts ist ewig.

Sollte die Ukraine eines Tages Mitglied der EU sein?
Wenn die Ukrainer es wollen und die Normen erfüllen, und wenn die EU selbst nicht schwächelt – warum nicht?

Bundeskanzlerin Angela Merkel gehört zu den Staats- und Regierungschefs in der EU, die harten Wirtschaftssanktionen gegen Russland eher skeptisch gegenüberstehen. Wie beurteilen Sie den Kurs der Bundesregierung?
Besonnen und standhaft. Die gute Kooperation zwischen Berlin, Warschau und Paris hat gezeigt, dass es sehr wohl Konturen einer gemeinsamen europäischen Ostpolitik gibt. Der deutsche Außenminister Frank- Walter Steinmeier hat das Bild gebraucht, dass die Sanktionen eine Treppe seien, bei der auf jeder Halbetage ein Ausgang zur Deeskalation offensteht. Das Bild stimmt.

Sie kommen viel in der EU herum. Stimmt der Eindruck, dass die Angst vor einer Ausweitung des Ukrainekonflikts zunimmt, je weiter man in der EU nach Osten reist?
Das stimmt. Gerade deshalb ging von den Bildern des letzten EU-Gipfels, die den ukrainischen Regierungschef Jazenjuk im Kreis der Staats- und Regierungschefs der EU zeigten, eine wichtige politische Botschaft aus. In der nationalsozialistischen Propaganda galten Polen und die Tschechoslowakei als „Saisonstaaten“. Die Ukraine ist kein „Saisonstaat“ mehr. Aus meiner polnischen Erfahrung heraus begrüße ich das ganz besonders.

Was bedeutet die Nato-Mitgliedschaft für Polen in diesen Tagen?
Das Gefühl der Zugehörigkeit zum atlantischen Westen. Wir sind frei und ein Teil der euro-atlantischen Welt.

Gab es nach dem Mauerfall eine Alternative zum Nato-Beitritt Polens?
Die Nato hat uns nicht besetzt, vielmehr haben sich die Mittel- und Osteuropäer aus freien Stücken – wohlgemerkt gegen den Widerstand vieler westlicher Russlandversteher – um den Beitritt bemüht, weil sie ihre Erfahrungen mit der „Friedensliebe“ Russlands gemacht haben. Wenn ich das sage, dann ist das keine Russophobie. Die russische Mentalität ist uns durchaus vertraut. Aber das russische Herrschaftsprinzip hat keinen Respekt verdient.

Russland wirft dem Westen vor, sein Versprechen gebrochen zu haben, die Nato nicht Richtung Russland auszuweiten. Verstehen Sie den Vorwurf?
Dieses Versprechen ist eine Legende, es galt nur in der Frage von Nato-Manövern in der ehemaligen DDR. Russland sollte vor allem sich selbst vorwerfen, dass es seine historische Chance, für die Nachbarn attraktiv zu sein, verwirkt hat. Und es muss mit der Anmaßung aufhören, mit anderen Großmächten über das Schicksal von Staaten schachern zu wollen, die zwischen Ost und West liegen.

Das Gespräch führte Albrecht Meier

Zur Person: Adam Krzeminski fing 1973 als Redakteur des polnischen politischen Wochenmagazins „Polityka“ an – bis heute ist der 69-Jährige dem linksliberalen Magazin treu. Nach seinem Germanistikstudium in Warschau und Leipzig wurde er zu einem der wichtigsten Deutschlandkenner in Polen. Für seine Verdienste um die deutsch-polnische Verständigung wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 1999 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz. In den vergangenen Jahren hat sich Krzeminski verstärkt auch mit Themen der europäischen Zusammenarbeit beschäftigt.

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