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Unfallchirurgen werden oft kritisiert.Foto: dpa

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Politik: Ärztekammer: Kaum Kunstfehler

Schlichtungsstellen weisen 70 Prozent der Entschädigungsforderungen zurück.

Berlin - Über die Dunkelziffer reden sie bei der Ärztekammer nicht gern. Das Spekulieren überlasse man den Börsianern, sagt Andreas Crusius ein wenig genervt. Als Vorsitzender der Ständigen Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen präsentierte der Internist am Dienstag nur das ihm vorliegende harte Zahlenmaterial. Und demzufolge sind Behandlungsfehler im medizinischen Alltag die absolute Ausnahme.

Rund 40 000 Menschen haben sich im vergangenen Jahr in Deutschland über mutmaßliche „Kunstfehler“ beschwert – bei hochgerechnet fast 250 Millionen Behandlungsfällen. 11 107 Prüfanträge landeten bei den Ärztekammern, der Rest beschäftigte Krankenkassen, Haftpflichtversicherer oder gleich die Gerichte. 7452 Beschwerden haben die Kammer- Gutachter bewertet, knapp 70 Prozent davon zurückgewiesen. In 2287 Fällen (88 mehr als im Vorjahr) wurden Behandlungsfehler oder Aufklärungsmängel bestätigt – und in 1901 Fällen Entschädigungsansprüche für begründet erklärt. Bei 196 Betroffenen führten die Fehler zu schweren Dauerschäden, 99 Menschen starben daran. Die meisten Todesfälle ereigneten sich durch Operationen oder zu spät erfolgte Krebsdiagnosen.

Fast drei Viertel der Fehler-Beschwerden beziehen sich auf die Krankenhausbehandlungen. Und die meisten Schäden haben dort Orthopäden und Unfallchirurgen zu verantworten. An der Spitze der Statistik stehen Operationen an Hüft- und Kniegelenk. In den Arztpraxen dagegen ist die Behandlung von Brüchen am fehlerträchtigsten. An dritter Stelle rangieren dort aber trotz aufwändigen Mammografie-Screenings nach wie vor die nicht oder zu spät erkannten Fälle von Brustkrebs. Viele Hausarzt-Fehler seien zudem darauf zurückführen, dass zu lange an falschen Erstdiagnosen festgehalten werde, sagte Johann Neu von der Schlichtungsstelle der norddeutschen Ärztekammern.

Laut Crusius werden die Entscheidungen der Schlichter in neun von zehn Fällen von den Beteiligten akzeptiert. Allerdings handelt es sich um ein freiwilliges Verfahren, zu dem sich beide Seiten erst einmal bereit erklären müssen. Und in vielen Fällen lässt sich kaum nachweisen, dass der erlittene Schaden „ursächlich“ aus einem ganz bestimmten Behandlungsfehler resultiert. Entsprechende Gerichtsverfahren ziehen sich deshalb nicht selten über zehn Jahre und länger hin.

Gut möglich also, dass viele Geschädigte und Angehörige die Sache mangels Kraft, Geld und juristischer Finesse auf sich beruhen lassen. Experten zufolge könnte die Zahl der tatsächlichen Behandlungsfehler bis zu zwanzig Mal höher liegen als die der anerkannten Fälle – das wären mehr als 150 000 pro Jahr. Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung nannte die Ärztestatistik gestern die „Spitze eines Eisbergs“. Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen könnten nicht über die schwache Position der Patienten gegenüber Medizinern hinwegtäuschen. Oppositionspolitiker und Krankenkassen forderten daher erneut eine Beweislastumkehr für den ursächlichen Zusammenhang von Behandlungsfehler und Gesundheitsschädigung.

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