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Ärzteschwund: Diagnose: Mangelerscheinung

In Ostdeutschland gibt es immer weniger Hausärzte. Sachsen versucht den Trend zu wenden - mit Schnupperkursen und Investitionszuschüssen.

Von Matthias Schlegel

Dresden - Die Stimme von Bernhard Zirm ist brüchig, die Erschöpfung hat sich tief in sein blasses Gesicht eingegraben. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er als Hausarzt. Für rund siebeneinhalbtausend Menschen in einem Plattenbaugebiet im sächsischen Torgau waren er und zwei weitere Allgemeinmediziner einst zuständig. Die anderen beiden haben ihre Praxen aufgegeben, heute bewältigt Zirm diese Aufgabe allein. Und weil sich der Anteil an Rentnern unter den Patienten in fünf Jahren von 28 auf 48 Prozent erhöht hat, ist für Bernhard Zirm eine 50-Stunden-Woche längst passé: „60 bis 70 Wochenstunden sind jetzt normal“, wegen der gestiegenen Behandlungsintensität und des bürokratischen Aufwands.“

Die Situation von Zirm ver anschaulicht den Hausarztmangel in ländlichen Regionen Ostdeutschlands. Mehr Hausärzte seien notwendig, weil die Bevölkerung immer älter werde, sagt Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) dem Tagesspiegel: „Die Älteren benötigen in stärkerem Maße Ärzte.“ Gerade im ländlichen Bereich gebe es schon immer das Phänomen, dass die Ärzte dort „relativ große Wege zurücklegen und sehr viel Arbeit leisten müssen. Gleichzeitig wird ihre Honorierung als nicht ausreichend empfunden“. Aus diesem Grunde strebten die jungen Ärzte in die großen Städte oder in die Kliniken. „Zu wenige möchten aufs Land in eine Hausarztpraxis“, sagt Milbradt. Doch es müsse ein Gleichgewicht zwischen Stadt und Land geschaffen werden. Das habe auch einen wirtschaftlichen Hintergrund: „Wir müssen den Hausarzt stärken, damit unser System insgesamt finanzierbar bleibt. Denn wenn es die Hausärzte nicht gibt, wird der Facharztbereich noch weiter belastet.“

Die Regierung des Freistaats hat den Landkreis Torgau-Oschatz vor ein paar Jahren zur Modellregion erklärt. So erhalten Hausärzte, die eine vorhandene Praxis übernehmen, innerhalb von fünf Jahren 60 000 Euro Investitionszuschuss, Neueinsteiger 30 000 Euro. Manfred Putzmann hat sich locken lassen. Ende 2007 verließ er seine Internistenstelle im Krankenhaus und übernahm die Praxis von Klaus-Peter Heidemann in Oschatz. Der hatte zuvor vier Jahre lang vergeblich einen Nachfolger gesucht. Der 41-Jährige löste den 69-Jährigen ab. Der Altersdurchschnitt der Allgemeinmediziner im Landkreis aber liegt immer noch bei 54 Jahren.

Auf ihre Art sorgt sich auch Petra Hönigschmid um die Hausarztnachfolge. Sie ist zwar erst 49 und vom Berufsausstieg noch weit entfernt. Aber in ihrer Praxis in einem Torgauer Gründerzeitbau hat die quirlige und charmante Allgemeinmedizinerin erlebt, wie die Zeiten sich verändert haben: Als sie 1991 ihre eigene Praxis eröffnete, hatte sie keinen einzigen Patienten, da gab es noch einen Verdrängungswettbewerb. Heute ist sie vollkommen ausgebucht. Mehr noch: Als eine Torgauer Kollegin aufhörte, standen die Patienten bei ihr an der Anmeldung, und sie konnte sie nicht aufnehmen.

Die Ärztin weiß, dass das Problem nur langfristig zu lösen ist – man beim Berufsnachwuchs ansetzen muss. Gemeinsam mit Hagen Sandholzer, Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig, organisierte sie das „Patenprogramm Allgemeinmedizin Leipzig“ (PAL). Seitdem laufen Studenten schon vom ersten Semester an in mehrtägigen Praktika mit Hausärzten aus dem Landkreis Torgau-Oschatz mit und schnuppern in den Beruf hinein. Den Studenten Michael Teschner aus Mutzschen hat die besondere Beziehung zwischen Hausarzt und Patient schon immer fasziniert. Und das Kleinstadtmilieu ist ihm vertraut. Deshalb gibt es für ihn keine Frage: Er wird einmal eine ländliche Hausarztpraxis führen. Die 19-jährige Jana Sonnenschein, die in den Räumen von Petra Hönigschmid gerade ihre ersten Praktikumsstunden erlebt, ist sich da weniger sicher – sie wohnt in Berlin. Matthias Schlegel

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