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Ort der Trauer. Angehörige am Tag nach dem Bombardement im September 2009 im Distrikt Char Darah. Lange zögerte die Bundeswehr, sich zu entschuldigen. Foto: dpa

© picture-alliance/ dpa

Afghanistan: Preis der Bomben

Geld kann die Toten nicht lebendig machen, aber die Bundesregierung sieht ihre Zahlung als „humanitäre Hilfsleistung“. Wie die Afghanen auf die Entschädigung für die Toten des Luftangriffs am Kundus-Fluss reagieren.

Köln - Die Bundeswehr zahlt den Familien von 102 Opfern des verheerenden Luftangriffs in Kundus insgesamt 5000 Dollar pro Familie, umgerechnet rund 327 000 Euro. Gut zehn Tage ist es her, da verkündet der Kommandeur des deutschen Wiederaufbauteams, Oberst Reinhardt Zudrop, die Nachricht in Afghanistan. Das Treffen findet am Sitz der afghanischen Menschenrechtskommission statt. Der Kommandeur ist in Begleitung des Gouverneurs von Kundus gekommen. Afghanische Medienvertreter sind anwesend. Die Bundeswehr stellt Text und Fotos zum Treffen ins Internet. Wie sind die Reaktionen?

„Die Summe ist endlich etwas Zählbares für die Menschen. Aber einige Hinterbliebene hätten sich eher ein Stück Land gewünscht. Das lässt sich ein Leben lang bewirtschaften“, sagt ein Lokaljournalist, der mit Opferfamilien in Kontakt steht. Dass die Bundeswehr für jede Opferfamilie ein gesondertes Konto eingerichtet hat, nennt er eine gute Lösung angesichts der bekannten Korruption. Wie sicher das Kreditinstitut ist, bleibt abzuwarten. In Mazar, dem Standort des größten Bundeswehr-Lagers, ist dieser Tage eine Filiale derselben Bank überfallen worden. Die Täter seien mit über 200 000 Dollar entkommen, heißt es auf der Internetseite des Grünen-Politikers Winfried Nachtwei.

„5000 US-Dollar können das Leid nicht wieder gut machen“, sagt Nachtweis Parteikollegin Marieluise Beck, die lieber von einer „Milderung“ spricht. Beck ist in Sachen Kundus gewissermaßen Opposition und Regierung in einem. Die Abgeordnete des Auswärtigen Ausschusses ist in der Entschädigungsfrage mehrfach nach Afghanistan gereist, unterstützt vom Auswärtigen Amt. „Dass es monatelang keine Entschuldigung gab, war unerträglich“, kritisiert sie. Erst Anfang Mai, rund acht Monate nach dem Vorfall, sei die Bundeswehr mit Stammesältesten der betroffenen Dörfer ernsthaft ins Gespräch gekommen. Warum verstrich so viel Zeit in einer Provinz, in der sich das deutsche Militär guter Beziehungen zu Menschen und lokalen Autoritäten rühmt? „Im Nachhinein ist man immer schlauer“, deutet ein Sprecher im Verteidigungsministerium Versäumnisse an. Die Höhe der Unterstützung orientiert sich nach seinen Angaben an dem Betrag, der auch für die Familien von sechs afghanischen Armeeangehörigen gezahlt wurde, die durch irrtümliches Feuer der Bundeswehr im April dieses Jahres umkamen.

„Froh und erleichtert“ seien die Menschen in Kundus, schreibt Beck in einer Erklärung. Die Lösung stoße „scheinbar auf Akzeptanz“. Beck hat sogar Verständnis für Hinterbliebene, die nicht zufrieden sind. „Ich kann gut verstehen, wenn es Opferfamilien geben sollte, die sich um mehr Hilfe als die angebotene Zahlung bemühen. In Deutschland würde sich auch keiner eine solche Chance entgehen lassen.“ Bis heute ist es kaum möglich, die genaue Zahl der Opfer zu rekonstruieren. Fast zehn verschiedene Untersuchungen hat es gegeben. Die Hinterbliebenen haben geduldig viele Befragungen über sich ergehen lassen.

„Ich glaube, die jetzt vorgelegte Liste der Opfer ist korrekt“, sagt ein Journalist in Kundus, der in die Recherchen involviert war. Er und seine Kollegen beschäftigt noch etwas anderes: „Wenn jetzt alle Hinterbliebenen eine finanzielle Hilfe erhalten, stellt sich die Frage nach vergangenen und künftigen Fällen, in denen Angehörige mutmaßlicher Taliban zurückbleiben.“ Der Gouverneur von Kundus nennt die Lösung zum deutschen Luftangriff deshalb einen Ausnahmefall. „Fälle wie diese könnten Modellcharakter haben in der Auseinandersetzung mit dem Nato-Militär“, hofft dagegen Nader Nadery aus dem Vorstand der afghanischen Menschenrechtskommission. „Es ist ein Versäumnis, dass es bis heute keine einheitliche Regelung unter den Staaten der Isaf-Truppen gibt“, findet auch Beck.

Viele Schlagzeilen hat die Lösung in afghanischen Medien nicht hervorgerufen. In Internetforen wird sie allerdings diskutiert. „Warum entschädigen die Deutschen professionelle Diebe?“, lautet ein Kommentar. „Der Preis für einen Afghanen wird reduziert auf ein paar Decken und Öllampen“, so ein anderer Eintrag.

Die Bundeswehr hat den Menschen in Kundus und Char Darah weitere Aufbauprojekte infolge des Luftangriffs zugesagt. Zurzeit sei die Lage dafür allerdings zu unsicher. „Die Deutschen können jetzt nicht mehr in diese Dörfer gehen“, so der Mitarbeiter einer afghanischen Hilfsorganisation. Für Oktober haben US- und deutsches Militär eine Offensive gegen die Taliban angekündigt. Die Menschen in den umkämpften Distrikten fühlen sich zwischen zwei Fronten. „Wir sehen die Taliban. Aber wir sehen auch mehr amerikanische Soldaten jetzt. Ihre Hausdurchsuchungen durch Spezialkräfte machen den Menschen Angst.“

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