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Ilsa Aigner präsentiert ihr Strategiepapier.

© dapd

Dioxin: Aigner: Belastung "nicht völlig irrelevant"

Am Freitag hat Ilse Aigner eine Pressekonferenz zum Dioxin-Skandal abgehalten. Klare Aussagen hatte sie allerdings nicht zu bieten. Grundsätzlich sei die Aufnahme von solch kleinen Mengen Dioxin nicht schädlich, doch "völlig irrelevant" sei die Belastung nicht.

Von Antje Sirleschtov

Im Dioxin-Skandal hat Bundesministerin Ilse Aigner die Verbraucher erneut beruhigt. „Dass die Verbraucher verunsichert sind, kann ich nachvollziehen“, sagte die CSU-Politikerin am Freitag in Berlin. Doch seien inzwischen alle potenziell belasteten Produkte gesperrt. „Es kommt nichts mehr Neues auf den Markt.“ Selbst wenn jemand belastete Eier oder Schweinefleisch gegessen haben sollte, bestehe keine Gesundheitsgefahr, versicherte Aigner.

Die Grenzwerte für Dioxin seien so niedrig, dass auch eine dauerhafte Aufnahme solch kleiner Menge nicht schädlich sei. Trotzdem sei eine Dioxin-Belastung „nicht völlig irrelevant“, räumte die Ministerin ein.

Ihr Abteilungsleiter Bernhard Kühnle rechnete vor, dass bei etwa 20 Prozent der getesteten Eier von dioxinbelasteten Höfen der zulässige Höchstwert überschritten worden sei - zum Teil bis zum Vierfachen. In zwei Fällen seien Grenzwertüberschreitungen beim Fleisch konstatiert worden und zwar um das 1,1- bis 1,5-Fache. „Es ist also sehr, sehr unwahrscheinlich, dass Verbraucher kontinuierlich über den Zeitraum der letzten Monate belastete Ware gegessen haben“, sagte der Experte. Aber „selbst wenn das so wäre, bewirkt das keine unmittelbare Gesundheitsbelastung“. Das gelte auch für Kinder. Die Grenzwerte seien nach ihnen ausgerichtet. „Selbstverständlich sollte ein Säugling nicht lebenslang solche Werte aufnehmen“, sagte Kühnle und fügte hinzu: „Aber niemand ist lebenslang ein Säugling.“

Was bringen Qualitätssiegel?

Als Folge des Dioxinskandals will Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) nun die Kontrollen von Futtermitteln verschärfen. Womit sie – schaut man sich im Kreis der Agrar- und Verbraucherexperten im Bundestag um – noch nicht mal allein dasteht. Von der Union über die SPD bis hin zu den Linken, von überall her schallt es jetzt, da das Gift Dioxin in Eiern, Wurst und Eisbeinen bereits über die Ladentheke gegangen sein soll: Härtere Kontrollen müssen her.

Warum erst jetzt?

Es ist nicht leicht zu verstehen, warum die Politiker, die jetzt das Kontrollsystem der Lebensmittelindustrie beklagen, nicht schon viel früher dessen offensichtliche Mängel und Lücken erkannt und abgestellt haben. Sind es Wissenslücken der Politiker? Das kann wohl nicht der Grund sein. Denn schaut man sich das seit beinahe zehn Jahren bestehende bundesweite Lebensmittel-Kontrollsystem „QS“ näher an, dann stellt man fest: Jede der im Bundestag vertretenen Parteien hat ihren obersten Agrar- und Verbraucherexperten in dessen Kuratorium entsandt. Von Hans-Michael Goldmann (FDP), dem Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Ernährung,

Landwirtschaft und Verbraucherschutz, über Wilhelm Priesmeier, den fachpolitischen Sprecher der SPD, die CSU-Agrarpolitikerin Marlene Mortler bis hin zu der Linken-Expertin Karin Binder: Alle Verbraucher- und Ernährungspolitiker treffen sich regelmäßig mit den Vertretern des deutschen Ernährungs-Kontrollsystems zur Beratung. Sie überwachen es sozusagen. Selbst Ulrike Höfken, die Verbraucherexpertin der Grünen, nimmt an den Kuratoriumssitzungen des QS teil. Erst dieser Tage forderte die Grünen-Politikerin eine Verschärfung des Verbraucherinformationsgesetzes, um „die Wirtschaft zu disziplinieren“. Doch fragt sich, wer hinter die Kulissen schaut, warum QS-Kuratorin Höfken in den vergangenen Jahren nicht selbst zur Disziplinierung geschritten ist.

Wie gut sind die Kontrollen?

Ausgerechnet eine Parteifreundin von Frau Höfken, Bärbel Höhn, einst grüne Umweltministerin in Nordrhein-Westfalen und nun Fraktionsvize im Bundestag, hat die offensichtlichen Mängel des QS-Kontrollsystems der deutschen Ernährungswirtschaft in dieser Woche zur Sprache gebracht. Wie könne es sein, fragte Höhn, dass der mutmaßliche Verursacher des aktuellen Dioxinskandals, der schleswig-holsteinische Futtermittelhersteller Harles und Jentzsch, im vergangenen Oktober ein QS-Qualitätssiegel erhalten hat, wo er doch in der gleichen Zeit dioxinverseuchte Futtermittel hergestellt und in Umlauf gebracht habe?

Es war Renate Künast, die zu Beginn des Jahres 2001 das QS-Kontrollsystem initiierte. Durch den ersten großen BSE-Skandal war die Grüne Künast Anfang Januar 2001 ins Amt der Agrar- und Verbraucherministerin der rot-grünen Bundesregierung gelangt. Und eine ihrer ersten Forderungen war der Aufbau eines Kontrollsystems in der konventionellen Land- und Ernährungswirtschaft. Im Biolandbau gab es seinerzeit längst solche Selbstkontrollen, etwa über das Demeter-Siegel. Ein System, bei dem sich die Bauern und Hersteller selbst regelmäßig Qualitätskontrollen unterwerfen und bei dem sie ebenso regelmäßig kontrolliert werden. Ein solches System sollte auch die herkömmliche Landwirtschaft vor derart folgenreichen Skandalen, wie den durch die Rinderkrankheit BSE ausgelösten, schützen.

Wie funktioniert das QS-System?

Seit Oktober 2001 gibt es die QS Qualität und Sicherheit GmbH in Bonn, die im Auftrag der Ernährungswirtschaft und der Agrarindustrie die Qualität und Sicherheit von Lebensmitteln untersuchen soll. Auch die von Futtermitteln. Die Gesellschaft ist ein Unternehmen der Wirtschaft, sie beauftragt und zertifiziert Prüfeinrichtungen und Labore. Auch der TÜV und die Dekra sind zertifiziert. Firmen, die das QS-Siegel tragen wollen, müssen sich regelmäßig Untersuchungen unterziehen. Zahlreiche Beiräte, in denen Wissenschaftler, Vertreter der Agrarindustrie, von Bauernverbänden oder des Tierschutzbundes sitzen, sollen die Tätigkeit überwachen. Nach eigenen Angaben lassen sich rund 13 000 Betriebe regelmäßig zertifizieren. Auch das Futtermittelunternehmen Harles und Jentzsch habe im Oktober 2010 solche Untersuchungen durchführen lassen, gibt QS jetzt an. „Keinerlei Auffälligkeiten“ habe die untersuchende Einrichtung Dekra dabei gefunden. Deshalb sei das Prüfsiegel, mit dem die Unternehmen werben, auch erteilt worden. Seit Ende Dezember ist die Firma allerdings auf der Homepage von QS „gesperrt“. (dapd)

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