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Al Qaida: "Haut ab, oder ihr werdet grausam sterben"

Warum Al-Qaida-Kämpfer den Rückhalt bei Sunniten verloren haben. Eine selbstkritische Analyse des Niedergangs

Die erste westliche Touristengruppe seit dem Sturz von Saddam Hussein besichtigte dieser Tage die Ruinen von Babylon. Visa für ausländische Besucher werden künftig innerhalb von 24 Stunden ausgestellt, gab das Außenministerium in Bagdad bekannt. Irak fasst langsam wieder Tritt, auch wenn immer noch keine Woche ohne schwere Anschläge vergeht. Erst am Montag starben in Bagdad bei vier Anschlägen innerhalb von zwei Stunden wieder mindestens 21 Menschen. Doch das Schlimmste scheint überstanden – nicht zuletzt, weil es in den vergangenen beiden Jahren gelang, die blutrünstigen Gotteskämpfer von Al Qaida stark zurückzudrängen.

Wie die Terrororganisation selbst ihren Niedergang im Zweistromland analysiert, das zeigen umfangreiche Dokumente, die die amerikanische Armee in verschiedenen Unterschlupfen gefunden hat und die jetzt das „Zentrum für Terrorbekämpfung“ der renommierten US-Militärakademie West Point auswertete. Ausschlaggebend waren offenbar nicht primär die militärischen Erfolge der USA, sondern die wachsende Ablehnung durch die sunnitische Bevölkerung, „die die Nase voll hatte von Fremden, die sie herumkommandieren“, wie der Autor der Studie, Brian Fishman, schreibt. Hatte sich zunächst nach der amerikanischen Invasion 2003 eine enge Kooperation zwischen Al Qaida und sunnitischen Aufständischen entwickelt, wendete sich das Blatt im Jahr 2006.

Im Februar provozierten Osama bin Ladens Terroristen durch ihren Anschlag auf die Goldene Moschee von Samarra einen Bürgerkrieg, konnte dann aber ihre sunnitischen Verbündeten vor den Racheakten schiitischer Milizen nicht schützen. Als Reaktion etablierten sich bereits Ende 2006 die ersten sunnitischen „Erweckungsräte“: „Wir sagen allen Terroristen, haut ab. Wir wissen jetzt, wie ihr euch finanziert und wer euch befohlen hat, unsere irakischen Brüder zu töten. Haut ab, oder ihr werdet grausam sterben. Wir sind entschlossen, euch Mann gegen Mann niederzukämpfen“, hieß es auf einer der Gründungsversammlungen in der sunnitischen Provinz Al Anbar.

Wütende Briefwechsel mit gegenseitigen Vorwürfen von Folter und Erschießungen folgten, was einige Al-Qaida- Kommandanten schließlich veranlasste, mit der eigene Strategie selbstkritisch ins Gericht zu gehen. Anders als in Afghanistan und Pakistan sei es im Irak nicht gelungen, die Bevölkerung zu verstehen, heißt es in ihrem Dokument, das einen ungewöhnlichen Einblick in das Innere der Terrororganisation gibt. Als weiteren Grund für den Misserfolg nennen sie die überzogenen Erwartungen der ausländischen Kämpfer. Von der globalen Dschihad-Propaganda angelockt hätten viele gedacht, sie kämen sofort zum „heldenhaften Einsatz“ und waren nicht auf den beschwerlichen Alltag von Aufständischen vorbereitet. Spannungen zwischen ausländischen und irakischen Kämpfern waren die Folge: Auf der einen Seite übermotivierte, arrogante Al- Qaida-Freiwillige, die keine Ahnung von Land, Kultur und Dialekt hatten, sich schwer verstecken ließen und wenig auf eigene Faust ausrichten konnten. Auf der anderen Seite die Iraker, die eher pragmatisch dachten und mit der importierten Dschihad-Rhetorik wenig am Hut hatten.

Die anonymen Al-Qaida-Analytiker klagen aber auch über überbordende Bürokratie in den eigenen Reihen. Mit steigender Zahl der Terrorzellen sei die Kommunikation immer schwieriger geworden. Auch hätten die Kämpfer ständig neue Hierarchien und Titel erfunden. So gab es irgendwann „einen Emir für Granaten, einen Emir für Verwaltung, einen Emir für ferngezündete Bomben sowie Emire für Nachschub, Gas, Zelte und die Küche“, heißt es selbstironisch in dem Text. Die West-Point-Studie allerdings warnt in ihrem Fazit, die dezimierten Terrorzellen zu unterschätzen. Zwar sei Al Qaida im Irak nur noch „ein Schatten ihrer selbst“. Trotzdem bleibe sie ein wichtiger terroristischer Akteur.

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