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Terrorwarnung: Alarm ohne Anschlag

Vor zehn Wochen warnte Bundesinnenminister Thomas de Maizière vor einem möglichen Anschlag. Seit der Terrorwarnung ist nichts passiert. Irrte de Maizière?

Von Frank Jansen

Die Öffentlichkeit war überrascht. Ausgerechnet der sonst eher leise auftretende Thomas de Maizière verkündete am 17. November vergangenen Jahres einen Terroralarm. Es gebe Grund zur Sorge, sagte der christdemokratische Bundesinnenminister. Und er warnte sogar, bereits Ende November könnte „ein mutmaßliches Anschlagsvorhaben umgesetzt werden“. Dass der Minister keinen Grund zur Hysterie sah, ging dann weitgehend unter. Zumal kurz darauf Patrouillen der Polizei mit Maschinenpistolen an großen Bahnhöfen und anderen stark frequentierten Orten aufzogen. In Berlin wurde der Reichstag massiv gesichert. In die Bevölkerung kroch Angst. Viele Menschen trauten sich nicht auf die Weihnachtsmärkte. Passiert ist jedoch bis heute glücklicherweise nichts.

Die Bundesrepublik bleibt im Inland auch im zehnten Jahr nach 9/11, zumindest bislang, von einem Anschlag islamistischer Terroristen verschont. Allerdings wurden seit der Warnung vom November auch keine mutmaßlichen Attentäter in Deutschland festgenommen. Es gebe bei den Ermittlungen kaum „Anpacker“, heißt es in Sicherheitskreisen. Zehn Wochen sind nun seit der Warnung des Ministers vergangen, keines der in den Medien skizzierten Horrorszenarien wurde Realität. Hatte de Maizière übertrieben?

In den Behörden wird intensiv diskutiert, ob jedem Hinweis zu potenziellen Gefahren, der im November vorlag, zu trauen war. Es gibt Stimmen, die eine gezielte Panikmache von Al Qaida befürchten. „Die hatten das Ziel, den deutschen Staat nervös zu machen“, vermutet ein Experte, „um Sicherheitskräfte zu binden und Kosten in Millionenhöhe zu verursachen.“ Es sei nicht auszuschließen, dass Al Qaida gezielte Desinformation verbreitet habe. Sowohl über die Quellen in Afghanistan und Pakistan, die den Amerikanern Hinweise gaben, als auch über jene Personen, mit denen die deutschen Sicherheitsbehörden zu tun haben. Das betrifft vor allem jenen mysteriösen, aus der Bundesrepublik stammenden Dschihadisten, der sich im November telefonisch beim Bundeskriminalamt meldete, womöglich aus dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet.

Der Mann hatte unter anderem berichtet, Al Qaida wolle im Stil des Angriffs auf Mumbai den Reichstag attackieren. Eine grauenhafte Vorstellung – in der indischen Hafenstadt hatte ein Terrorkommando im November 2008 drei Tage lang gewütet, Hotels und andere Gebäude angegriffen, Geiseln genommen und am Ende mehr als 170 Menschen getötet. Der Gedanke, ein ähnliches Szenario könnte in Berlin bevorstehen, machte selbst Sicherheitsexperten mit langjähriger Erfahrung kribbelig. Außerdem gab der Anrufer den Hinweis, es seien bereits zwei Dschihadisten nach Deutschland gekommen, möglicherweise in die Region Berlin, und warteten nur noch auf Zünder und eine E-Mail, die den Befehl zum Losschlagen übermittelt. Doch die beiden Männer wurden nicht gefunden. Ob es sie überhaupt gibt, bleibt offen.

Hat der Dschihadist dem BKA dennoch die Wahrheit gesagt? Oder hat er die Behörde mit falschen Informationen gefüttert? Könnte es sogar sein, dass Al Qaida die als wenig kampfkräftig geltenden Dschihadisten aus Deutschland lieber da einsetzt, wo sie noch am ehesten nutzen können: bei der Weitergabe falscher Informationen, die den Psychokrieg anheizen sollen? Solche Überlegungen sind immer wieder bei Sicherheitsexperten zu hören. Doch verifizieren kann die Theorien bislang niemand. Und einige Fachleute betonen, angesichts der Details in den Hinweisen des Dschihadisten sei Desinformation eher unwahrscheinlich.

Ein Szenario, das die Amerikaner den Deutschen schilderten, wurde allerdings schon im November bezweifelt. Da war die Rede von einer indisch-schiitischen Gruppe, die im Auftrag von Al Qaida in die Bundesrepublik kommen wollte, um Anschläge zu verüben. Es erschien hochgradig dubios, dass Schiiten mit der sunnitischen Al Qaida, die im Irak Schiiten massakriert, gemeinsame Sache machen würden. Die Amerikaner änderten später den Hinweis und sprachen von einem indisch-sunnitischen Trupp. Doch die ganze Geschichte gilt heute in Sicherheitskreisen als „wenig plausibel“.

Viele Experten halten allerdings die Warnung de Maizières für richtig. Verwiesen wird auf die „verdichtete Quellenlage“, die es im November gegeben habe. Da waren nicht nur die Anrufe des Dschihadisten und die Hinweise der Amerikaner. Seit dem Sommer gingen auch Informationen aus den Verhören von zwei festgenommenen, aus der Bundesrepublik stammenden Dschihadisten ein. Im Juni war in Pakistan der Deutsch-Syrer Rami M. ins Netz gegangen, im Juli erwischten die Amerikaner in Afghanistan den Deutsch-Afghanen Ahmed S. Beide Männer haben über mögliche Anschläge in Deutschland gesprochen, die Al Qaida geplant haben soll. Da die Aussagen von M. und S. in Teilen übereinstimmen, halten Sicherheitsexperten sie für „plausibel“.

Und dann waren da noch die zwei Paketbomben, die Al Qaida Ende Oktober vom Jemen aus in Frachtflugzeugen losgeschickt hatte. Eine Bombe wurde auf dem Flughafen Köln-Bonn in eine Maschine umgeladen, die nach England flog. Als die Sprengsätze entdeckt wurden, war der Schrecken gewaltig.

Auch wenn der Alarm des Ministers zehn Wochen später nicht mehr ganz so dringlich erscheint, bleibt die Terrorgefahr hoch. Experten verweisen auf die Anschläge in Stockholm und Moskau und betonen, die Einreise eines Kommandos, das um sich schießt, sei weiter zu befürchten. Außerdem seien seit dem Herbst etwa zehn Islamisten in Richtung Pakistan ausgereist, darunter Eltern mit Kind.

De Maizière, so ist häufig in Sicherheitskreisen zu hören, werde demnächst eine Erklärung zur Terrorgefahr abgeben. Und zur Notwendigkeit, gegen seine Gewohnheit Alarm gerufen zu haben.

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