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Alkoholmissbrauch: Jugend am Limit

Bei Alkoholmissbrauch durch Jugendliche sehen Experten die Werbeindustrie in der Pflicht – die wehrt sich.

Berlin - Mehr als 23 000 Jugendliche zwischen zehn und 20 Jahren wurden 2007 wegen Alkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt. Ursache ist meist das sogenannte Komasaufen oder „Binge Drinking“. Durch Einzelfälle wie den Tod eines jungen Wetttrinkers aus Berlin sind jugendliche Saufgelage oder „Flatrate-Partys“ immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Am gestrigen Samstag ist unter dem Motto „Kenn’ dein Limit“ eine bundesweite Präventionskampagne gegen Alkoholmissbrauch angelaufen. Ihr soll eine speziell auf Jugendliche zugeschnittene Kampagne unter dem gleichen Namen folgen. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bieten während der „Anti-Alkohol-Woche“ deutschlandweit mehr als 2200 Veranstaltungen an.

Hauptgegner im Kampf gegen Alkoholismus bei Jugendlichen ist für BZgA, Suchtverbände und Krankenkassen die Werbeindustrie. Eine im Juni vorgelegte Studie der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) sieht einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Registrieren von Alkoholwerbung und dem Griff zu entsprechenden Getränken bei Sechst- bis Achtklässlern und bestätigt damit eine europaweite Studie von 2007.

Volker Nickel, Sprecher des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft (ZAW), sieht darin eine „haarsträubende Desinformationspolitik“. Es sei nicht ersichtlich, weshalb die DAK-Studie auf die Gruppe der 12- bis 17-Jährigen fokussiert: „Jugendliche haben doch schon immer mit Rauschzuständen experimentiert.“ Er verweist auf die jüngste Studie der BZgA, die einen kontinuierlichen Rückgang des Alkoholkonsums unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen verzeichnet. Tranken 1979 noch 44 Prozent der Befragten zwischen 12 und 25 Jahren regelmäßig Alkohol, waren es 2008 nur noch 27 Prozent. Die Zahlen für das Komasaufen, die erst seit 2004 berücksichtigt werden, sind ebenfalls leicht rückläufig. „Natürlich müssen die Alkoholhersteller mehr werben, um ihre Marktanteile zu halten“, sagt Nickel. Dem Missbrauch durch Jugendliche beuge der Deutsche Werberat vor. In dessen Selbstverpflichtung heißt es, Werbung solle Kinder und Jugendliche weder zum Trinken alkoholhaltiger Getränke auffordern noch trinkende Kinder und Jugendliche zeigen.

Raphael Gassmann, Geschäftsführer der DHS, hat für diese Selbstverpflichtung nur ein müdes Lächeln übrig. „Die Alkoholindustrie bietet diese Schritte an, um entsprechende Gesetze zu verhindern“, sagt er. Zu diesen freiwilligen Einschränkungen zähle beispielsweise auch der Hinweis „nur für Erwachsene“ auf Bierflaschen. Solche Maßnahmen würden Jugendliche aber erst recht zum Kauf einladen. Nur gesetzlich geregelte Warnhinweise wie auf den Zigarettenschachteln könnten gezielt Wirkung entfalten. Doch ob Werbeverbot oder Warnhinweise – was für die Einschränkungen von Tabakreklame gilt, findet derzeit für Alkohol keine politische Mehrheit. Gassmann aber ist Berufsoptimist: Auch die deutsche Tabakindustrie habe sich lange gesperrt, bis die EU-Kommission einheitliche Warnhinweise durchsetzen konnte. „In zehn bis 15 Jahren sind wir auch beim Alkohol so weit“, vermutet er.

Cosima Stawenow

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