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Politik: Alle gegen alle

Von Elke Windisch, Moskau Wenige Stunden nach Beginn der Loya Dschirga in Kabul sah es so aus, als würde der neue Präsident Hamid Karsai heißen. Doch hinter den Kulissen gingen die Intrigen um die Machtverteilung in Afghanistan weiter.

Von Elke Windisch, Moskau

Wenige Stunden nach Beginn der Loya Dschirga in Kabul sah es so aus, als würde der neue Präsident Hamid Karsai heißen. Doch hinter den Kulissen gingen die Intrigen um die Machtverteilung in Afghanistan weiter. Erst mit einem Tag Verspätung wurde die Ratsversammlung am Dienstag in Kabul eröffnet. Der „Große Kreis“, so die wörtliche Übersetzung, soll eine Übergangsregierung wählen, die bis zu den freien Wahlen in achtzehn Monaten im Amt bleibt.

Mindestens vier rivalisierende Gruppen kämpfen erbittert um Macht und Pfründe: Die Stammesführer der Paschtunen aus den Süd- und Ostprovinzen, die mit den Taliban oder auch dem Expremier Gulbuddin Hekmatyar sympathisieren; die Tadschiken aus der einstigen Nordallianz, die die Taliban vertrieben; die Modernisierer um Exkönig Sahir Schah und Übergangspremier Hamid Karsai – beide sind ethnische Paschtunen – sowie die Warlords, die nach wie vor auf dem Land ihre Macht spielen lassen, welche sie schon im Kampf gegen die Sowjet-Invasoren in den Achtzigern begründeten.

Die Paschtunen als größte Bevölkerungsgruppe, die auf der Loya Dschirga rund 300 der 1000 gewählten Delegierten stellen, wollten eigentlich den Ex-König Sahir zum Staatsoberhaupt wählen und Karsai als Übergangspremier bestätigen. Hinter dieser Forderung stehen auch kleinere ethnische Minderheiten, die sich gegen die Vormachtstellung der Tadschiken – 30 Prozent der Bevölkerung – wehren. Darunter ist auch Usbekengeneral Abdurraschid Dostum, der mit 100 Gefolgsleuten auf der Dschirga vertreten ist. Über eine ähnliche Hausmacht gebieten auch der Herr von Herat im Westen, Ismail Khan, und der Führer der schiitischen Hazara-Minderheit, Karim Chalili.

Das aber widerspricht Abmachungen, die der König und Karsai bereits mit den Tadschikenführern aushandelten und die dem König nur die symbolische Rolle eines „Vaters der Nation“ zugestehen. Auch bei den meisten anderen früheren Mujahedinführern ist der Ex-König unpopulär. Am Montag verzichtete er daher auf ein politisches Amt – und machte den Weg damit frei für Karsai. Beobachter fürchten indes, dass dieunbeliebten Mitglieder der Königsfamilie mit Karsai um die Posten konkurrieren könnten.

Ein weiterer Stolperstein für deren Erfolg ist, dass die Tadschiken ihre Macht nur widerstrebend teilen wollen. Mit Außenminister Abdullah, Innenminister Kanuni und Verteidigungsminister Fahim kontrollieren sie derzeit die wichtigsten Ressorts in der Interimsregierung. Doch zumindest Kanuni hat sich nun überraschend bereit erklärt, um der inneren Einheit des Landes willen auf sein Amt zu verzichten. Die afghanische Armee ist indes fast ausschließlich mit russischen Waffen ausgerüstet, mit denen die Paschtunen, die im Krieg gegen die Sowjets mit westlicher Technik kämpften, nicht umgehen können. Mit diesem Faustpfand in der Hand schmetterte Fahim Forderungen anderer Ethnien nach Übernahme wichtiger Ressorts ab: Die Dschirga solle das gegenwärtige Kabinett „ohne größere Änderungen“ bestätigen.

Problematisch ist auch der große Einfluss, den sich die Kriegsherren in der Loya Dschirga gesichert haben. Auch in der Zukunft wollen sie in Afghanistan eine Rolle spielen. Frustriert plädierte der Afghanistan-Beauftragte der EU, Klaus-Peter Klaiber, dafür, den Stammesführern die finanziellen Ressourcen zu kürzen. Doch da sie sich vor allem durch Schmuggelhandel finanzieren, würde dies ihnen kaum die Machtbasis entziehen.

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