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Politik: Allein gegen Italien

Berlusconi bringt mit seiner Rentenreform Politiker aller Lager gegen sich auf – und heute wird gestreikt

Eigentlich sollte es nur ein Routinevorgang sein. Innerhalb weniger Wochen würde Italiens neues Haushaltszusatzgesetz für das kommende Jahr verabschiedet werden. Das zumindest hatte Ministerpräsident Silvio Berlusconi Anfang September vollmundig verkündet. Doch jetzt bedroht dieses Gesetz sogar den ohnehin brüchigen Frieden innerhalb der Regierungskoalition. Schon ist die Rede von Krise. Berlusconi droht jetzt mit einer Vertrauensabstimmung in beiden Kammern des Parlaments, sollten sich seine Koalitionspartner nicht schnell zusammenraufen. „Die Regierung ist am Ende“, so der linke Oppositionsführer Francesco Rutelli. Auch Umberto Bossi, Minister der Regierung und Parteichef der Lega Nord, fordert grundlegende Berichtigungen und droht andernfalls mit einem „Ende dieser Koalition“.

Es geht um Geld. Um viel Geld. Ganze 16 Milliarden Euro umfasst das neue Haushaltszusatzgesetz. 2,4 Milliarden sollen eingespart und 13,6 Milliarden zusätzlich eingenommen werden. Lokale Verwaltungen sollen im kommenden Jahr 1,8 Milliarden Euro weniger aus Rom erhalten. Italiens Bürgermeister protestieren, darunter auch jene, die den Mitte-Rechts-Parteien der Regierungskoalition angehören. 0,6 Milliarden sollen bei der Auszahlung von Renten und Invalidenunterstützungen eingespart werden. Die entsprechenden Interessenverbände sind erwartungsgemäß außer sich vor Zorn.

Der Hauptgrund für die Auseinandersetzungen in der Regierung um das neue Haushaltszusatzgesetz für 2004 betrifft die so genannten „Condoni“. Ein „Condono“ ist eine Art Sündenerlass durch den Staat. Wer Steuern hinterzogen oder sich illegal ein Haus errichtet hat, um nur zwei Beispiele zu nennen, kann mit der Zahlung einer von der Regierung festgesetzten Geldsumme seine schmutzige Weste waschen. Auf diese Weise, um bei den beiden Beispielen zu bleiben, drohen keine Verfahren wegen Steuerhinterziehung oder illegalem Hausbau.

Straferlass gegen Bargeld

3,6 Milliarden Euro sollen allein aus dem „Condono“ für Immobilien kommen. Für jeden illegal errichteten Quadratmeter Wohnraum müssen demnach 200 Euro Strafe gezahlt werden. Nach Zahlung dieser Geldsumme wird illegaler Wohnraum legal. Auch dieser Punkt des Haushaltsgesetzes ist innerhalb der Koalition sehr umstritten.

Der größte Teil der geplanten Zusatzeinnahmen für das kommende Jahr, nämlich rund fünf Milliarden Euro, soll aus dem Verkauf staatlicher Immobilien in die leeren Staatskassen kommen. Ein höchst umstrittenes Projekt, denn es sollen hunderte von historischen Bauwerken an Privatleute verkauft werden. Darunter Burgen und Schlösser, Paläste, Kirchen und sogar antike Ruinen, wie zum Beispiel eine der ehemaligen Villen von Kaiser Tiberius auf der Insel Capri.

Streit um die Rentenreform

Für heftige Debatten sorgt auch die Rentenreform. Sie sieht zum einen die Heraufsetzung des Rentenalters für die Zeit nach dem 1. Januar 2008 vor und zum anderen eine Mindestlebensarbeitszeit von 40 Jahren. Es wird auch weiterhin möglich sein, früher in Rente zu gehen. Das bedeutet aber, dass die Rentenhöhe nur nach den individuell eingezahlten Beiträgen berechnet wird, was zu einem eindeutigen Verlust von zirka 15 bis 20 Prozent führt. Ganz generell steigt das Rentenalter für Männer auf 65 und für Frauen auf 60 Jahre.

Wirtschaftsminister Giulio Tremonti hat errechnet, dass die durch diese Rentenreform herbeigeführten Einsparungen ab 2008 jährlich rund 12 Milliarden Euro betragen werden. Das ist etwa ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Italien gibt jedes Jahr ungefähr 13 bis 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für seine Aufwendungen im Rentenbereich aus. Ohne eine Reform würde dieser Prozentsatz bis zum Jahr 2030 auf mindestens 16 Prozent ansteigen. Das ist laut Tremonti zu viel „für eine Regierung, die das gesamte staatliche Wirtschaftssystem von Grund auf sanieren will“. Ziel der Regierung von Ministerpräsident Berlusconi ist es, die jährlichen Aufwendungen für das Rentensystem auf maximal 10 Prozent zu senken. Eine Herkulesaufgabe, meint Tremonti, „die nur mit einer radikalen Reform möglich ist“.

Nicht nur die Oppositionsparteien begehren gegen diese Reform auf. Die rechten Christdemokraten, die Nationale Allianz und die Lega Nord fordern grundlegende Änderungen an der Rentenreform wie auch an verschiedenen „Condoni“. Zusätzlich wollen drei führende Gewerkschaften am heutigen Freitag die Regierung mit einem Generalstreik unter Druck setzen. Der gesamte öffentliche Dienst will für vier Stunden die Arbeit niederlegen. Bahnen, Busse und Flugzeuge stehen still, und alle Ämter bleiben geschlossen.

Thomas Migge[Rom]

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