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Politik: Alles bleibt anders Von Peter von Becker

Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht völlig nass. So kann man den kleinen Bärendienst bezeichnen, den uns die Kultusminister mit ihrem Reformversuch an der deutschen Rechtschreibung erwiesen haben.

Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht völlig nass. So kann man den kleinen Bärendienst bezeichnen, den uns die Kultusminister mit ihrem Reformversuch an der deutschen Rechtschreibung erwiesen haben. Ab 1. August soll nun eine Teilreform der Reform in Schulen und Behörden in Deutschland, Österreich und der Schweiz als verbindlich gelten. Soweit diese Reformreform nicht in nächster Zukunft wieder ein bisschen reformiert wird. Das klingt vor allem für die Schüler, als sei’s wie im richtigen Leben. Denn auch da müssen wir uns ja permanent verändern und damit an einen Zustand der Dauerreform gewöhnen. Alles bleibt anders, wobei Progress und Rückschritt beim rasenden Rasten nicht immer zu unterscheiden sind.

Wie im richtigen Leben? Zwar gehört das Thema Rechtschreibreform zur realen Politik. Doch haftet diesem Projekt bis heute noch etwas lebensfern Konstruiertes an. Weil ausgerechnet das Lebendigste, was wir zum Denken haben – unsere gesprochene und geschriebene Sprache –, die längste Zeit und gleichsam hinter den Kulissen der kulturellen und politischpublizistischen Öffentlichkeit in die Hände von bürokratischen Schildbürgern gefallen war. Spät erst haben die Kultusminister und der neu geschaffene Rechtschreibrat gegenüber etlichen schon eingeschlichenen Verballhornungen einer inzwischen entmachteten Didaktiker-Kommission die Notbremse gezogen.

Damit geht nun, das sei den Glaubenskriegern in dieser Frage gesagt, ab August auch die deutsche, die deutschsprachige Kultur nicht unter. Die zwischen „Massen“ und „Maßen“ durchaus maßvoll differenzierende neue „ss“- und „ß“-Schreibung ist eine längst bewährte Vereinfachung. „Stängel“ und „Gräuel“ statt „Stengel“ und „Greuel“ sollte für Eltern und Ältere tolerabel sein. Dafür müssen Ärzte sich und andere keineswegs „krank schreiben“, sondern weiterhin „krankschreiben“. Uns darf jemand wieder „leidtun“ (statt ein fälschlich großes und getrenntes „Leid“ antun), und ein Schiedsrichter kann einen Freistoß „wiederholen“, einen aus dem Feld geschlagenen Ball aber „wieder holen“ lassen. Wo die Reform noch die Sprache und damit die Realität des Gemeinten entstellt hat, will die Reformreform neuerlich Sinn stiften.

Trotzdem gibt es weitere Streitfälle. Während sachfremde Getrenntschreibungen korrigiert werden, wirkt etwa die Großschreibung bestimmter Wendungen noch überarbeitungsbedürftig. Viel wichtiger aber ist das Signal der Kultusministerkonferenz und des von Hans Zehetmair geleiteten Rates für deutsche Rechtschreibung. Was jetzt teils beschlossen, teils angekündigt wurde, bedeutet für die Schulen richtig interpretiert: ein neues Toleranz-Edikt. Denn die Sprache gehört zum Leben und bleibt im Fluss. Sie lässt sich, so hilfreich und notwendig grammatikalische Spielregeln sind, nicht in allen Fällen schematisch regulieren. Selbst im Duden existieren schon tausendfach Varianten. Deshalb müssen jetzt auch nicht sofort wieder alle Schulbücher geändert werden. Vielmehr sollten Lehrer und Schüler zuerst auf den Sprach-Sinn achten und die Fülle des Ausdrucks allemal über die Enge des Vordrucks stellen. Indes könnte die Politik, die mit Reformen eigentlich deregulieren wollte, sich bei Schule und Bildung wieder den wirklichen Problemen verschreiben.

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