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Politik: Alles nur „Emotionen“?

Erdogan macht Medien für EU-Kritik an Polizei-Übergriffen verantwortlich

Für Recep Tayyip Erdogan steht fest, wer für den Streit zwischen der Türkei und der EU über den Gewalteinsatz der Istanbuler Polizei verantwortlich ist: die Medien. Mit ihrer Berichterstattung über das Vorgehen der Polizei gegen die Frauendemonstration am Sonntag hätten die türkischen Fernsehsender ihr Land bei der EU „verpetzt“, sagte der türkische Premier. Zu einer Kritik an der Polizei kann er sich nicht durchringen. Die Trotzphase des EUKandidaten lässt heftige Turbulenzen im türkischen Beitrittsprozess erwarten.

Erdogan hat schon häufiger den Medien die Schuld daran gegeben, wenn etwas nicht so läuft, wie er es will. So auch jetzt. Immer wieder seien die Bilder der prügelnden Polizisten am vergangenen Wochenende gezeigt worden, beschwerte sich der Premier am Mittwochabend im Fernsehen. Vor der Presse in Ankara fügte er am Donnerstag hinzu, die am Einsatz beteiligten Polizisten hätten lediglich „emotional“ gehandelt. Ein „ernstes Ausmaß“ habe der Vorfall nicht gehabt. Die zusammengeknüppelten Demonstranten dürften das ebenso wie die EU etwas anders sehen.

Journalistenverbände wiesen zwar Erdogans Kritik an den Medien zurück. Mit der Ansicht, dass das eigentliche Problem nicht bei der türkischen Polizei liegt, steht der Premier aber nicht allein. Mehrere Zeitungskommentatoren werteten die EU-Reaktionen auf den Schlagstock-Einsatz am Donnerstag als Zeichen dafür, dass die EU nach Vorwänden suche, die Türkei nicht aufnehmen zu müssen. Zu den jüngsten türkisch-europäischen Verstimmungen passte auch, dass Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer einen Besuch in Finnland absagte, um eine Begegnung mit der Botschafterin der griechischen Republik Zypern zu vermeiden.

Ein EU-Kandidat, dessen Ministerpräsident lieber die Presse als prügelnde Polizisten kritisiert und dessen Staatspräsident unter allen Umständen eine Begegnung mit der Vertreterin eines EU-Staates vermeiden will? „Die machen sich lächerlich“, sagt ein Diplomat über das Verhalten türkischer Spitzenpolitiker. Der Kolumnist Semih Idiz spricht von „ernsthaften Zweifeln“ an den reformerischen Qualitäten der Regierung. Erdogans Kabinett bediene nationalistische Kräfte im Staatsapparat, statt europäische Standards im Land zu verankern.

Die durch den Istanbuler Polizei-Einsatz und die Reaktionen der türkischen Regierung geweckten Zweifel in Europa könnten die bevorstehenden EU-Beitrittsgespräche noch schwieriger machen als ohnehin erwartet. Schließlich wird die EU in den kommenden Jahren mehr und mehr in Ankara mitregieren, Forderungen stellen und Resultate überprüfen. Für türkische Medien dürfte es zum Ärger von Erdogan noch viel zu „petzen“ geben.

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