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Politik: Alles Steno

Foto: Rückeis / Montage: DP HINTER DEN LINDEN Wenn es nach dem Fortschritt ginge, müsste der Beruf des Stenografen ausgestorben sein. Schon die Erfindung des Tonbandgeräts hat der Branche einen argen Schlag versetzt.

Von Robert Birnbaum

Foto: Rückeis / Montage: DP

HINTER DEN LINDEN

Wenn es nach dem Fortschritt ginge, müsste der Beruf des Stenografen ausgestorben sein. Schon die Erfindung des Tonbandgeräts hat der Branche einen argen Schlag versetzt. Seit die Software zur automatischen Spracherkennung nicht mehr in jedem Fall ein Wort wie „Halbeinkünfteverfahren“ eigenmächtig in „halb eins konnte er fahren“ zerlegt, droht weiteres Ungemach. Einen Ort aber gibt es, an dem der Stenografenstand weiterhin präsent ist. Das ist der Deutsche Bundestag. Vor dem Rednerpult im Reichstag haben sie ihren Platz, korrekt gekleidete Damen und Herren, die sich unauffällig abwechseln und jedes Wort mitstenografieren, das im Hohen Hause fällt. Warum? Nun, erstens geht das so schnell, dass das Protokoll der Sitzung schon kurz nach deren Ende vorliegt. Zweitens notieren die Mitschreiber auch all jene Worte, die außerhalb der Tagesordnung fallen. Und weil sie flink sind und ihre Pappenheimer kennen, steht hinterher im Protokoll fast immer nachzulesen, von wem die Zwischenrufe kamen. Das kann kein Computer. Diese Notizen halten manche geheime Glanzstunde des Parlaments fest. Legendär die Schimpftiraden des Herbert Wehner, der den politischen Gegner am Rednerpult notfalls durch rätselhafte Anwürfe („Sie Düffeldaffel!“) aus dem Konzept warf. Was die schiere Masse angeht, ist jetzt der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss als des „Onkels“ Erbe ermittelt worden: Mit 621 Einträgen in einem Jahr führt er aktuell die Hitliste der Zwischenrufer an. Dass Tauss sich um die Fortentwicklung des Sprachschatzes in Wehners Sinne nicht so sehr bemüht, sehen wir ihm nach. Denn jedes „Aha“, „Ah, ja“, selbst ein „Quatsch!“ sichert Stenografen-Arbeitsplätze.

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