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Politik: Allmählicher Sinneswandel in der US-Politik - 60 Prozent der Bevölkerung wollen an ihr festhalten

Senator Rick Trombley rang mit sich. "Wenn uns die empirische Kriminologie nachweist, dass wir Fehler auf Fehler auf Fehler häufen, sollte der Gesetzgeber dafür sorgen, dass es keine Chance mehr gibt, solche Fehler zu wiederholen.

Senator Rick Trombley rang mit sich. "Wenn uns die empirische Kriminologie nachweist, dass wir Fehler auf Fehler auf Fehler häufen, sollte der Gesetzgeber dafür sorgen, dass es keine Chance mehr gibt, solche Fehler zu wiederholen. Dafür gibt es nur einen Weg: Die Abschaffung der Todesstrafe." Und so stimmte Rick Trombley, Landes-Abgeordneter im kleinen US-Bundesstaat New Hampshire, am Donnerstag für das Ende von "capital punishment".

Er war nicht der einzige. Die Mehrheit im Landes-Senat tat, was das Repräsentantenhaus im März hinter sich gebracht hatte: Zuerst eine emotionsgeladene Debatte und dann der Schlussstrich unter die Todesstrafe. So wurde New Hampshire am Donnerstag zum ersten US-Bundesstaat, in dem beide Kammern des Landesparlaments Exekutionen verbieten wollen. Senator Trombley war noch vor wenigen Monaten ein Verteidiger der Todesstrafe. Und dahinter steckt die Bedeutung des Vorgangs im kleinen Neuengland-Staat. Eine Massenbewegung ist es nicht, eher ein Abbröckeln. Einer nach dem anderen stehen sie auf und sagen nein: Konservative Amerikaner, die jahrzehntelang die USA zu dem einzigen Land im Westen machten, wo der Staat routinemäßig seinen Bürgern das Leben nimmt.

Da gab es im Februar ein überraschendes Geständnis des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Gary Bauer vom religiös-rechten Flügel der Partei. Bauer gestand ein, dass sein unbedingtes Eintreten gegen Abtreibung und für den Schutz des Lebens sich nicht mit der Todesstrafe verträgt. "Ich überdenke meine Haltung", meinte Ronald Reagans ehemaliger Innenpolitik-Berater. Dann trat Jesse Ventura auf den Plan, der populistisch-unabhängige Gouverneur von Minnesota, und erklärte die Todesstrafe rundheraus für inakzeptabel und nicht zu verteidigen. Den Schlusspunkt setzte George Ryan, Gouverneur von Illinois, als er Anfang des Jahres den Vollzug der Todesstrafe per Dekret aussetzte. Der Republikaner und grundsätzliche Todesstrafen-Befürworter hatte erfahren, dass allein in seinem Bundesstaat seit 1987 immerhin 13 Gefangene freigelassen werden mussten, weil sie unschuldig zum Tode verurteilt worden waren.

Und jetzt das streng konservative New Hampshire, wo seit dem Zweiten Weltkrieg ohnedies niemand hingerichtet wurde. Das von beiden Parlaments-Kammern befürwortete formale Ende der Exekutionen dürfte indes an der demokratischen Gouverneurin scheitern, die ihr Veto angekündigt hat. Dies zeigt, dass der Streit um die Todesstrafe mit Parteipolitik wenig zu tun hat.

1976 hatte der Oberste Gerichtshof die Todesstrafe für zulässig erklärt. In 38 der 50 Bundesstaaten und im Bund wurde sie daraufhin wieder eingeführt. Der Bund hat zwar brandneue Todeszellen, aber noch niemanden hingerichtet. Anders in den Einzelstaaten: Seit 1976 gab es über 500 Hinrichtungen, vor allem in Texas, Florida und Virginia. 3600 Verurteilte sitzen derzeit in den Todeszellen. 87 zum Tode Verurteilte konnten seit 1973 nachträglich ihre Unschuld beweisen und wurden entlassen.

1997 hatte die US-Rechtsanwaltskammer "American Bar Association" in typischer Manier für ein Moratorium votiert: Die Todesstrafe sei nicht unmoralisch oder aus anderen prinzipiellen Gründen abzulehnen, sondern schlicht "unfair in ihrer Anwendung". Mit 280 gegen 119 Stimmen beschlossen die US-Juristen, die Praxis der Verhängung der Todesstrafe als "ein undurchdringliches Dickicht der Ungleichbehandlung" zu charakterisieren. Arme und Schwarze seien überproportional von der Todesstrafe betroffen.

Indirekt ist die Todesstrafe nun auch zum Wahlkampfthema geworden. Beide Präsidentschaftskandidaten, George W. Bush und Al Gore, unterstützen "capital punishment". Bush hat sich indes zu der Einschätzung hinreißen lassen, er sei sich sicher, in seinem Texas sei noch nie ein Unschuldiger hingerichtet worden. Jetzt haben die großen Zeitungen ihre investigativen Reporter nach Dallas, Houston, San Antonio und Austin geschickt, um das Gegenteil zu beweisen. Für Bush wäre es unangenehm - mehr aber wohl kaum. Die Mehrheit der Amerikaner, rund 60 Prozent, hält die Todesstrafe nach wie vor für richtig, sinnvoll und vertretbar.

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