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Politik: Alte Heimat, neue Heimat

In Niederschlesien haben sich die polnischen Einwohner an deutsche Nostalgietouristen gewöhnt

Ein alter, grauer Grabstein ist Sinnbild für die Tragödie dieser Region. „Hier ruhen in Gott vereint“ steht dort. Dann aber folgt nur ein Name: Hermann Breiter. Gestorben ist der Altbürgermeister im Jahr 1942, als der kleine Flecken am Fuß der Schneekoppe noch Krummhübel hieß. Seine Frau musste nach dem Zweiten Weltkrieg, wie alle Deutschen, den Ort verlassen, der daraufhin Karpacz genannt wurde. Zurückgeblieben ist der Friedhof mit seinen vielen Grabsteinen, auf denen deutsche Namen an die jahrhundertealte Geschichte des Dorfes erinnern. Daneben steht die Wang-Kapelle, eine der Attraktionen Niederschlesiens. Die romanische Kapelle aus dem 12. Jahrhundert stand fast sechs Jahrhunderte lang im Dörfchen Wang in Südnorwegen. Es heißt, dass der norwegische Maler Jan Christian Dahl, der Mitte des 19. Jahrhunderts in Dresden lebte, den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. dazu überredete, das verfallene Kleinod zu kaufen, abzutragen und in Krummhübel wieder aufzubauen.

„Wir profitieren hier von einer Kultur, die im Grunde nicht unsere ist“, erklärt einer der vielen Souvenirverkäufer, die an dem steilen Aufstieg von der Bushaltestelle zur Kapelle ihre Stände aufgebaut haben. Er bietet nicht nur kleine Modelle des Gotteshauses feil, sondern auch Rübezahlfiguren in allen Größen, Farben und Formen. Der Legende nach soll der Berggeist hier gewohnt haben. Die Eltern des Verkäufers stammen aus dem äußersten Osten Polens, der nun ein Teil Weißrusslands ist, und wurden nach dem Krieg in der Nähe von Karpacz angesiedelt. Sie wohnen in einem Haus, das früher Deutschen gehörte. „Es war Krieg“, sagt der Mann dann, was nicht wie eine Anklage oder eine Rechtfertigung klingt, sondern ganz einfach wie eine Tatsache.

Seit der Wende im Jahr 1989 suchen immer mehr deutsche Touristen ihren Weg nach Niederschlesien. Viele kommen natürlich, weil sie in der alten Heimat nach ihren Wurzeln suchen. Der Taxifahrer Witek Andrzejczak hat sich auf diese Besucher eingestellt. Sein Deutsch ist inzwischen nahezu perfekt und er steht den Deutschen mit Rat und meist auch mit Tat zur Seite. „In vielen Fällen wissen die Leute die Adresse nicht mehr, weil sie noch kleine Kinder waren, als sie von hier weggehen mussten. Dann beginnt erst einmal die Sucherei“, erzählt er von seinen Touren. „Gefunden habe ich aber noch immer jeden Ort.“ In der Regel geht er zuerst allein in das gesuchte Haus, um die Polen, die vielleicht schon seit fast 60 Jahren darin wohnen, auf den Gast vorzubereiten. „Ich habe es noch nie erlebt, dass jemand die Deutschen nicht empfangen wollte“, sagt Andrzejczak. Anfang der 90er Jahre sei das allerdings ganz anders gewesen. „Damals dachten die Leute hier noch, die Deutschen wollen ihnen ihr Eigentum wegnehmen.“ Inzwischen sei allen aber klar geworfen, dass diese Nostalgie-Touristen nur noch einmal einen Blick auf ihre Vergangenheit werfen wollten.

Manche aber kamen auch zurück. Unmittelbar nach dem Fall des Eisernen Vorhangs entschloss sich die Familie von Küster, den zur Ruine verfallenen Familiensitz Schloss Lomnitz im Hirschberger Tal (Kotlina Jeleniogorska) zurückzukaufen. Fast 15 Jahre dauerte der Wiederaufbau, der aus Spenden, der Hilfe von Vereinen und verschiedenen Stiftungen finanziert wurde. Nun beherbergt das Gebäude ein Kultur- und Bildungszentrum, das die wechselvolle Geschichte des Landstrichs beschreibt. Das Projekt war ein bisweilen schwieriger Balanceakt, da es von vielen Einheimischen mit großem Argwohn beäugt wurde. „Was wollen die Deutschen?“, lautete eine oft gestellte Frage. Doch vor allem die zupackende und freundliche Art der neuen Hausherrin Elisabeth von Küster konnte eine Angst schnell zerstreuen: dass hier das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges nachträglich korrigiert werden soll.

Knut Krohn[Warschau]

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