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Altersarmut: Wenn die Rente nicht reicht

Viele Menschen werden später von ihrem Rentenanspruch allein nicht leben können. Immer mehr Deutsche drohen in Altersarmut zu rutschen. Die Bundesregierung sucht nach Konzepten, um das zu verhindern

Experten warnen seit langem: Wenn Deutschland nicht gegensteuert, werden seine Alten verarmen. Welche Konzepte gegen Altersarmut sinnvoll sein können, will Arbeitsministerin Ursula von der Leyen von diesem Mittwoch an mit Vertretern der Rentenversicherung, Arbeitgebern, Gewerkschaften und Sozialverbänden in einem „Rentendialog“ erörtern. Im Frühjahr sollen entsprechende Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht sein. Doch eines zeichnet sich bereits ab: Zu viel dürfen die Reformen nach dem Willen der Regierung nicht kosten.

Wie ist die materielle Lage von Rentnern in Deutschland?

Bislang ist Altersarmut eher selten. Nur knapp 2,4 Prozent der über 65-Jährigen, etwa 400 000 Personen, erhalten vom Staat die Grundsicherung im Alter, weil ihre Einkünfte so gering sind, dass sie davon nicht leben können. Die Grundsicherung entspricht in der Höhe den Hartz-IV- Leistungen (364 Euro im Monat plus Kosten der Unterkunft). Doch ob diese Zahl die Realität komplett widerspiegelt, ist fraglich. Schätzungen zufolge gibt es zahlreiche Ältere, die aus Unkenntnis oder Scham die Grundsicherung nicht beantragen, obwohl sie darauf Anspruch hätten.

Nach einer aktuellen Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) ist der Anteil der von Armut bedrohten Rentner in den vergangenen 15 Jahren gestiegen. 2009 galten 11,5 Prozent der Rentnerhaushalte als armutsgefährdet; 1995 waren es erst 9,4 Prozent. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat – das waren 2009 monatlich 870 Euro. Dabei lag die Quote in Westdeutschland mit 12,2 Prozent deutlich über der in Ostdeutschland (8,6 Prozent) – eine Folge der ununterbrochenen Erwerbsbiografien und der höheren Frauenerwerbstätigkeit zu DDR-Zeiten. Wegen der Arbeitsmarktsituation wird sich dies aber bald deutlich zulasten der künftigen Ost-Rentner verschieben.

Hinweise auf zunehmende Altersarmut gibt auch der steigende Zulauf bei den Tafeln. Der Seniorenanteil der auf Lebensmittelspenden Angewiesenen stieg seit 2007 von 12 auf 17 Prozent. Und angesichts der vielen Geringverdiener werde die Zahl der Altersarmen „sicher weiter zunehmen“, prophezeit der Chef des Tafel-Bundesverbands Gerd Häuser.

Lesen Sie mehr über die Ursachen von Altersarmut. Weiter auf Seite zwei.

Droht in Deutschland ein massiver Anstieg von Altersarmut?

Veränderte Erwerbsbiografien – mit langen Phasen von Arbeitslosigkeit oder gering bezahlten Jobs – werden zu einem Anstieg führen. Während heute ein Durchschnittsverdiener für eine Rente über dem Grundsicherungsniveau 25 Jahre lang Beiträge zahlen muss, braucht er nach Berechnungen des Rentenexperten Winfried Schmähl von der Universität Bremen dafür 2030 bereits 37 Jahre. Geringverdiener müssen also noch viel länger arbeiten, um im Alter etwas mehr als den Hartz-IV-Satz herauszubekommen.

Mit den Rentenreformen der vergangenen Jahre wird das Rentenniveau langfristig gesenkt. Dadurch will die Politik dafür sorgen, dass die Beiträge für Jüngere nicht unbegrenzt steigen. Erst vor kurzem hat die Regierung bestätigt, dass die Renten bis 2025 um etwa ein Zehntel niedriger sein werden. Das sogenannte Sicherungsniveau – das Verhältnis zwischen der Rente eines Durchschnittsverdieners nach 45 Jahren und dem aktuellen Durchschnittseinkommen – verringere sich von 50,8 auf 45,2 Prozent. Hinzu kommen steigende Kosten, etwa für die Kranken- und Pflegeversicherung. Das alles aber führt nicht zwangsläufig zu mehr Altersarmut. Problematischer sind Veränderungen in der Arbeitswelt.

Wer ist betroffen?

Langzeitarbeitslose, Menschen in Niedriglohnjobs und kleine Selbstständige, die nicht vernünftig abgesichert sind. Wer lange auf Hartz IV angewiesen ist, erwirbt in dieser Zeit keine Rentenansprüche. Denn die Beiträge, die der Staat bislang für Hartz–IV-Empfänger in die Rentenkassen gezahlt hat, sind inzwischen komplett gestrichen. Hinzu kommt: In Deutschland ist Langzeitarbeitslosigkeit besonders verfestigt. Wer einmal in Hartz IV landet, hat es schwer, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und damit nur geringe Chancen auf eine Rente über der Grundsicherung.

Auch für Geringverdiener sieht es schlecht aus. In keinem anderen Industrieland kämen sie auf einen derart niedrigen Rentenanspruch, heißt es in einer OECD-Studie von 2009. Im OECD- Schnitt erhielten Menschen, die durchgehend nur die Hälfte des Durchschnittseinkommens verdienten, als Rentner knapp 72 Prozent ihres früheren Bruttoeinkommens. In Deutschland bekämen sie nur 43 Prozent. Und hierzulande arbeiten bereits 6,5 Millionen Menschen im Niedriglohnsektor. Tendenz weiter steigend.

Es gibt noch eine Problemgruppe. Welche das ist, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Eine andere Problemgruppe, auf die bereits die Wirtschaftsweisen im Jahr 2007 verwiesen haben, sind die sogenannten Solo-Selbstständigen: Kleinunternehmer ohne Angestellte. Ihre Zahl ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, auf mehr als 2,3 Millionen. Sie zahlen in der Regel nicht in die Rentenkassen ein, sind aber auch nicht über eigene berufsständische Versorgungswerke (wie Notare oder Architekten) abgesichert. Zudem verfügen sie über niedrige Einkünfte, so dass sie nicht viel fürs Alter beiseitelegen. Unter den Grundsicherungsempfängern gibt es schon heute etliche, die wegen Selbstständigkeit nie in die Rentenkassen eingezahlt haben.

Wie will die Bundesregierung Altersarmut bekämpfen?

Die Arbeitsministerin hat für Freitag erste Vorschläge angekündigt. Bisher sieht es aber nur nach kleinen Korrekturen aus: So soll es leichte Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente geben. Und Frührentner sollen, auf Wunsch der FDP, mehr dazuverdienen dürfen. Ansonsten machte von der Leyen vor allem deutlich, was sie nicht will. Dazu gehört der Vorschlag, den CDU-Arbeitnehmer und Teile der CSU favorisieren: die Aufstockung niedriger Renten. Wer am Ende seines Berufslebens einen Rentenanspruch von weniger als 720 Euro habe, solle seine Bezüge aus Steuermitteln aufgestockt bekommen, verlangt Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer. Die Linkspartei fordert mindestens 850 Euro.

Die SPD setzt sich, wie auch etliche katholische Verbände, für eine Sockelrente ein. Das bedeutet: Jeder Rentner erhält einen festen Sockelbetrag, einen beitragsabhängigen Teil gibt es obendrauf. Die Grünen fordern eine Garantierente für Versicherte, die länger als 30 Jahre Beiträge gezahlt haben. Sie sollen dafür mindestens 30 Entgeltpunkte erhalten – was derzeit einer Rente von 824 Euro entspricht. Die Opposition will zudem das Problem an der Wurzel bekämpfen, etwa durch die Sozialversicherungspflicht auch für Mini-Jobs und gesetzliche Mindestlöhne.

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