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© dpa

Vorratsdatenspeicherung: Am Anfang war der Chip

Speichern lässt sich viel. In Karlsruhe wird jetzt über die Frage verhandelt, wo die Grenzen gezogen werden sollten.

Constanze Kurz hält einen Speicherchip in die Luft, nur wenige Quadratzentimeter groß, und doch leistet er alles, was der Staat verlangt: 16 Gigabyte, erklärt die Sprecherin des Chaos-Computer-Clubs. „Das reicht, um die Verbindungsdaten eines großen Providers sechs Monate zu speichern.“ Sie malt ein düsteres Szenario. „Es wird immer schwieriger, Datensicherheit zu gewährleisten“, sagt sie. Das Handy werde über die exakte Angaben zur Funkzelle zur „immer genaueren Ortungswanze“, E-Books geben Daten preis, Navigationsgeräte, Luxusautos hätten einen Internet-Breitbandzugang serienmäßig.

Und was ist mit dem Datenschutz? Die Gretchenfrage des digitalen Zeitalters wird seit Dienstag in Karlsruhe verhandelt. Es gab einen wahren Massenansturm auf das Gericht. 34 938 Beschwerdeführer vereint allein Rechtsanwalt Meinhard Starostik auf sein Mandat. Acht Klagen davon hat das Gericht exemplarisch ausgewählt. Hinzu kommen rund 50 weitere Beschwerden, darunter die prominente Klägergemeinde um die FDP: Der Ex-Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch, gemeinsam mit dem früheren Innenminister Gerhart Baum. Auch Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zählt dazu. Sie, die eigentlich auf der Seite der Bundesregierung sitzen müsste, um die Vorratsdatenspeicherung zu verteidigen, lässt ausrichten: Sie sei im Rollenkonflikt und erscheine nicht, aus Respekt vor den Richtern und den anderen Klägern. In Mannschaftsstärke sind dafür die Grünen mit Chefin Claudia Roth angereist. Mit einem Urteil wird im ersten Halbjahr 2010 gerechnet.

Bundesregierung gegen einen Gutteil der Bevölkerung, so könnte die Überschrift über diese Begegnung lauten. Es geht ums Prinzip – und zwar darum, überhaupt eines zu finden. So machen die Beteiligten deutlich, dass sie sich von den höchsten Richtern Grundsätzliches erwarten. Die demnächst in der EU anstehenden Verhandlungen über die Speicherung von Fluggastdaten möchte man „auf gesicherter verfassungsrechtlicher Grundlage führen“, bittet Justiz-Staatssekretärin Birgit Grundmann. Zugleich ist es der Tag, aus Ängsten Argumente zu machen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite, auch einmal Ängste aufzunehmen, statt nur Argumente zu bringen. Denn: „Jeder elektronische Atemzug wird gespeichert“, sagt Kläger Hirsch.

Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier erläutert, was sich hinter dem „unscharfen Schlagwort“ von der Vorratsdatenspeicherung verbirgt: Telekommunikationsunternehmen werden seit Anfang 2008 verpflichtet, die Verkehrsdaten ihrer Teilnehmer für sechs Monate vorzuhalten, auf eigene Kosten. Die Inhalte sind tabu. Es geht nur um alle Angaben, die nötig sind, um Zeit, Ort und Dauer einer Kommunikation zu rekonstruieren. Festnetz- und Mobilfunktelefonie sind dabei, Fax, SMS, E-Mail. In einer zweiten Stufe wird der staatliche Zugriff auf die Daten geregelt. Erlaubt ist er für die Strafverfolgung, zur Gefahrenabwehr und für Nachrichtendienste. Über Kunden- und Bestandsdaten können die Behörden dann bei den Providern erfahren, wer wann und gegebenenfalls wo im Web unterwegs war, Mails oder SMS verschickte, das Handy nutzte. Rasterfahndungen sind verboten. Das alles folgt einer europäischen Richtlinie, verabschiedet unter dem Eindruck des Terrors vom 11. September 2001. Für das Verfassungsgericht macht das die Sache nicht leichter. EU-Recht hat der Europäische Gerichtshof zu prüfen, nicht Karlsruhe. Deshalb waren die Richter vorsichtig, als sie die Vorratsdatenspeicherung 2008 mit zwei Eilbeschlüssen einschränkten. Seitdem dürfen die Behörden nur bei Verdacht schwerer Straftaten zugreifen.

Der Grüne Volker Beck hält ein Plädoyer, die Akte nach Luxemburg zum Europäischen Gerichtshof zu überweisen. Er lobt die Verfassungsrichter als „beste Lehrmeister“ für den Ausbau der Grundrechte in Europa. Dem Gericht scheint das zu viel der Ehre. Papier sieht zwar „grundlegende Fragen zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit“ im Spiel, die er im Einklang mit dem in der Verfassung geschützten Fernmeldegeheimnis beantworten will. Aber dem Gericht geht es um anderes: Wo sind die Grenzen des Datenspeicherns? Heute sind es Kommunikationsdaten, morgen Fluggastdaten, bald auch Bankdaten, Konsumdaten, Vereinsdaten? Nützlich seien schließlich alle diese Daten für einen Staat, der seine Bürger vor Terror oder Straftaten schützen will. Und noch etwas: Wenn immer mehr formal „harmlose“ Daten gespeichert werden, dies aber immer differenzierter, so würden etwa aus Verbindungsdaten plötzlich Inhaltsdaten. Wer nachts im Netz unterwegs ist, hat häufig andere Interessen als jemand, der es tags tut. Mit den Handy-Kontaktdaten könnten ganze Bewegungsprofile erstellt werden.

Der Berliner Staatsrechtler Christoph Möllers hält für die Regierung dagegen: Nur weil sich immer mehr Lebensäußerungen ins Internet verlagerten, dürfe dort kein rechtsfreier Raum entstehen. „Elektronische Spuren sind leicht zu vernichten“, sagt Möllers, anders als Fingerabdrücke. „Die technische Entwicklung lässt die klassische polizeiliche Ermittlungsarbeit immer mehr ins Leere laufen“, meint Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamts. Das Internet ermögliche die Bildung dezentraler und transnationaler krimineller Netze. Sechs Monate im Speicher seien das Minimum.

Datenschützer machen dem Gericht klar, dass hier eine neue Entwicklung an ihrem Anfang steht. „Vor 20 Jahren gab es keine Verbindungsdaten, weil es keine digitalen Daten gab“, sagt der Bundesbeauftragte Peter Schaar. Der Grundrechtseingriff werde tiefer, je weiter die technischen Möglichkeiten reichten. Und je leichter die Technik den Bürger erreicht: „Always on“, das sei der Trend bei den Geräten, sagt der Informatiker Felix Freiling – immer an.

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