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Am Sonntag wird gewählt: Wie tickt Mecklenburg-Vorpommern?

Seine Einwohner arbeiten gerne. Dann wollen sie ihre Ruhe. Sie sind wenige. Und werden noch weniger. Vor der Landtagswahl am Sonntag stellen wir Land und Leute vor.

Feiner Sandstrand entlang der Ostseeküste von der Lübecker Bucht bis nach Ahlbeck auf Usedom, der nur an wenigen Stellen unterbrochen wird. Zum Beispiel von Weltkulturerbe-Städten wie Wismar und Stralsund mit ihren gestuften Giebeln oder vom berühmten Kreidefelsen auf Rügen. Am Strand muss der Einheimische heutzutage aufpassen, dass er nur dann nackig baden darf, wenn kein prüder Westtourist in der Nähe ist. Der Westtourist hingegen muss auf Rügen Acht geben, dass ihm kein Brocken der Kreidefelsen auf den Kopf fällt. Bei Nationalparkwärtern kann er auf Mitleid nicht hoffen. Die sagen dann: „Das ist ein natürlicher Vorgang.“ Im Binnenland steht hinter jedem zweiten sanften Hügel ein Schloss oder ein Gutshaus. Was einst Herzögen und Junkern gehörte, beherbergt heute oft ein Wellness-Hotel oder eine interkulturelle, internationale und innovative Begegnungsstätte – für wen auch immer. Nur so gab es nach der Wende Subventionen. Ohne Staatsknete aber mochte sich kaum jemand so einen verfallenden Klotz ans Bein binden. Das Landesparlament hat natürlich genügend Staatsknete und tagt deshalb im Schweriner Schloss, dem weltweit schönsten Landtagssitz. Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist Mecklenburg-Vorpommern gleichwohl nicht mit Reichtümern gesegnet. Dennoch nimmt das Land als eines von wenigen in der Bundesrepublik seit 2006 keine neuen Schulden mehr auf.

Wer ist der Mecklenburg-Vorpommer?

Das ist schwer zu sagen, da es das Land erst seit 21 Jahren gibt. Bis 1945 lebten hier viele Mecklenburger und Pommern. Nach dem Zweiten Weltkrieg verdoppelte sich durch Flüchtlinge und Vertriebene aus Schlesien, Ostpreußen oder dem Sudetenland mancherorts die Zahl der Einwohner. Die DDR lockte Sachsen, Thüringer und Anhaltiner in den Norden, die bei der Industrialisierung des alten Agrarlandes helfen sollten. Nach dem Fall der Mauer zogen Neugierige, Glücksritter und Aufbauhelfer aus dem Westen ins Land. Da wundert es kaum, dass ein Westfale (Erwin Sellering, SPD), ein Sachse (Lorenz Caffier, CDU) und ein Mecklenburger (Helmut Holter, Linkspartei) jetzt Ministerpräsident werden wollen.

Was will der Mecklenburg-Vorpommer?

Arbeit. Und danach erst seine Ruhe. In keinem anderen Bundesland gehen so viele Menschen zur Arbeit, obwohl sie nur einen Niedriglohn dafür bekommen. Entsprechend liegt das Durchschnittseinkommen gerade einmal bei gut 15000 Euro im Jahr. Obwohl die meisten Einheimischen wohl fleißig sein wollen, waren im August 2011 immer noch 11,5 Prozent arbeitslos. Das ist allerdings der beste Wert in den vergangenen 20 Jahren. Wie überall im Osten Deutschlands gehen jedoch den Unternehmen inzwischen die Fachkräfte aus. Viele gut ausgebildete junge Mecklenburger und Vorpommern haben dem Land längst den Rücken gekehrt. Von einst knapp 1,9 Millionen Einwohnern sind nur noch 1,65 Millionen übrig. In 20 Jahren, so schätzen Experten, werden es nur noch 1,4 Millionen Einwohner sein. Die werden nach der Arbeit aber weiterhin im Garten ihre Ruhe haben wollen. Oder beim Angeln, denn irgendjemand muss sich ja um die Fische in Deutschlands seenreichstem Land kümmern. Am Wochenende schaut der Mecklenburg-Vorpommer auch gerne im Ostseestadion bei Hansa Rostock vorbei, dem beliebtesten Fußballbundesligaverein der Ostdeutschen. Leider kratzen die Fans aus der rechten Ecke am Image des Vereins.

Lesen Sie mehr über die Wirtschaftsstruktur und das Alltagsleben in Mecklenburg-Vorpommern. Weiter auf Seite 2.

Was tun sie gegen die Abwanderung?

Landeseigene Werbetrupps stellen sich an den Schweriner Hauptbahnhof und versuchen mit Häppchen und Flyern die Pendler, die in Hamburg oder Schleswig-Holstein für viel besseres Geld arbeiten, zur Arbeitssuche in der Heimat zu animieren. Einige Hoteliers auf Usedom, also eher klassisches FDP-Klientel, fordern zudem, Mindestlöhne einzuführen, statt einfach auch so ihre Angestellten besser zu bezahlen. Andere setzen auf Zuzug aus dem Osten. Kurz hinter der Grenze steigen in Stettin (Szczecin), dem historischen Zentrum der Region, die Preise und Mieten. Seit die Grenzen offen sind, haben sich bereits zahlreiche Polen in Vorpommern preiswerte Wohnungen und Häuser zugelegt und schicken ihre Kinder dort in Kitas und Schulen. In Stettin wiederum finden deutsche Handwerker und Dienstleister Arbeit. Inzwischen ziehen auch manche Pensionäre ins Land, die sich zwar nicht mehr die teure Stadtvilla an der Hamburger Alster, aber die ruhige Eigentumswohnung am Schweriner See leisten können.

Warum sind die Kitas so billig?

Auch mit billigen Kitaplätzen wollen fast alle Parteien gegen den Bevölkerungsschwund und gegen den Fachkräftemangel vorgehen, die Region zum „Kinderland“ machen. Denn Frauen können nach der Geburt eines Kindes schneller in den Beruf zurück, weil der Krippenplatz für den Lütten bezahlbar ist. In Hamburg würden sie das Dreifache zahlen. Diese Familienpolitik hat aber noch nicht dazu geführt, dass mehr Kinder geboren werden. Weil in Mecklenburg-Vorpommern überdurchschnittlich viele Kinder in Hartz- IV-Haushalten leben, die angeblich oft hungrig zur Schule kommen, plädieren viele Politiker in der Region für ein kostenloses Mittagessen.

Wovon leben die Mecklenburg-Vorpommer?

Von vielen kleinen Geschäften und Betrieben. Wer mehr als 200 Angestellte hat, gilt schon als Großunternehmer. Aber die sind rar. Selbst die einst mächtigen Werften in Wismar, Rostock, Stralsund und Wolgast beschäftigen kaum mehr als 5000 Menschen. Die Region ist die Badewanne der Berliner und die Kornkammer der Hamburger. Im Tourismus wird viel Geld verdient. Das Land rühmt sich, mehrere Spitzenplätze errungen zu haben. Wenn man sich die Statistiken nach Gästen, Übernachtungen, Jahreszeiten und eigenen Einwohnern zurechtrückt, ist Mecklenburg-Vorpommern im Sommer das beliebteste Urlaubsgebiet der Deutschen, die in den Ferien in Deutschland bleiben. Bayern kann in dieser Kategorie gerade noch mithalten, Schleswig-Holstein ist längst abgehängt. Mecklenburg-Vorpommern verzeichnet die meisten Gäste pro Einwohner, weil das Land so dünn besiedelt ist. Insgesamt fahren aber mehr Gäste nach Bayern, zum Beispiel Tagestouristen, Geschäftsreisende, Japaner. Und gegen Mallorca hat die Region auch keine Chance.

Auch die Landwirtschaft bringt Geld ins Land. Auf riesigen Feldern können die Bauern effizienter wirtschaften als andernorts, solange ihnen der Regen, die Sonne, der Frost oder ein Sturm nicht die Ernte versaut.

Zukünftig will die Region auch von den erneuerbaren Energien leben. Zahlreiche Landwirte bauen jetzt schon Mais für Biogasanlagen an. Der erste Windkraftpark vor Rügen ist im Frühjahr in Betrieb gegangen, weitere sollen folgen. Fast jede zweite Kilowattstunde Strom wird in Mecklenburg-Vorpommern bereits aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen. Stuttgarts grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat den Norddeutschen gerade versprochen, ihnen den Ökostrom abzukaufen. Dafür müssen aber erst noch die Leitungen gen Süden gebaut werden.

Welche berühmten Persönlichkeiten kommen aus Mecklenburg-Vorpommern?

Caspar David Friedrich, Philipp Otto Runge, Heinrich Schliemann, Otto Lilienthal, Ernst Barlach, Hans Fallada, Gerhart Hauptmann, Walter Kempowski, Max Schmeling, die Mutter von Willy Brandt, Toni Kroos (Bayern München) und Martina Strutz, die gerade in Südkorea Vizeweltmeisterin im Stabhochsprung geworden ist: Sie alle sind hier geboren und/oder gestorben. Für das schon immer dünn besiedelte Land eine erstaunlich hohe Promi-Dichte.

Womit wirbt Mecklenburg-Vorpommern?

Mit einem weiß-blauen Strandkorb, denn Hochdeutsch können die Menschen an der Küste schon. Der Strandkorb wurde in Kühlungsborn erfunden, was zeigt, dass das Land innovativ ist, beziehungsweise war. Das Möbelstück ist über 100 Jahre alt. Außerdem schützt der Strandkorb vor Sonne und Wind und wenn man ihn entsprechend dreht, übertönt das Rauschen der Ostsee, was die anderen über einen reden. Das zumindest ist den Mecklenburg-Vorpommern sowieso „schietegal“.

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