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Rainer Brüderle und Philipp Rösler.

© dapd

Analyse: Wie geht es für die FDP jetzt weiter?

Es soll eine Erneuerung der Partei werden: Birgit Homburger wurde als Vorsitzende der FDP-Fraktion vom bisherigen Wirtschaftsminister Rainer Brüderle abgelöst. Ihm folgt Philipp Rösler, der von Daniel Bahr als Gesundheitsminister beerbt wird.

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Wie ist die Fraktionssitzung abgelaufen?

Als Rainer Brüderle am Dienstag kurz vor drei Uhr nachmittags in den Fraktionssaal der FDP im Reichstagsgebäude schritt, wurde er von Fotografen und Reportern begleitet wie ein Star. „Ich komme wieder“, rief ihnen Brüderle zu – und kehrte gut eine Stunde später wirklich zurück. 86 der 93 Fraktionsmitglieder hatten ihm ihre Stimme für den Fraktionsvorsitz gegeben. In seiner Dankesrede, so berichteten später Sitzungsteilnehmer, soll er die FDP aufgefordert haben, jetzt nicht weiter zu streiten, sondern eng zusammenzustehen und einen Neuanfang zu starten. Für Birgit Homburger jedoch war diese eine Stunde wohl die schlimmste ihrer politischen Karriere. Denn sie musste mit ansehen, wie der künftige Parteivorsitzende Philipp Rösler gemeinsam mit Rainer Brüderle, der eigentlich sein Widersacher ist, sie vom Stuhl der Fraktionschefin herunterdrängten. Einen Abend, eine Nacht und beinahe einen ganzen Tag hat es offenbar gedauert, die tatkräftige Baden-Württembergerin dazu zu bewegen, nicht mehr für das Amt zu kandidieren. Zuletzt soll sie eingewilligt haben, sich mit dem Amt einer stellvertretenden Parteivorsitzenden zufrieden zu geben – für das sie allerdings am Ende der Woche noch kandidieren muss. Nicht wenige Fraktionsmitglieder konnten sich vor dem Fraktionssaal eine bittere Bemerkung nicht verkneifen. Und zwar nicht über Homburger, sondern über die Art und Weise, wie der Neuanfang in der FDP unter Philipp Rösler gestartet ist. Denn auch in der Fraktion hatte Rösler den Eindruck erweckt, er werde mit neuen Leuten neuen Schwung holen. Herausgekommen ist die Auswechselung einer 46-Jährigen durch einen 65-Jährigen. Mehr nicht.

Was bedeutet das für Röslers Ansehen als künftiger Parteichef?

Als Rösler Anfang April eine Kandidatur für das Amt des Parteichefs erwog, hieß es in seiner Umgebung, er wolle das mit einem Wechsel an die Spitze des Wirtschaftsressorts verknüpfen. Allerdings gelang es ihm vor vier Wochen nicht, Rainer Brüderle aus dessen Amt zu vertreiben – er konnte dafür keine Mehrheiten in der Partei finden. Am Ende kandidierte Rösler mit der Aussicht Gesundheitsminister zu bleiben. Brüderle wollte sich ganz offensichtlich von dem sehr viel jüngeren Rösler nicht herumschubsen lassen und pokerte sehr hoch. Sein Kalkül: Rösler muss einen schmerzhaften Preis zahlen, damit Brüderle weicht – und nicht in Rostock an diesem Wochenende als Parteivize kandidiert. Diesen Preis hat Rösler nun bezahlt, Brüderle bleibt im Spiel, ja seine Machtposition bei der Lenkung liberaler Politik ist sogar größer geworden. Schließlich ist er als Fraktionschef eine der wichtigsten Figuren in der Koalition. Er lenkt die aktuelle Politik. In dieser Position kann er ohne Absprache mit Rösler eigene politische Vorstellungen äußern – schlimmstenfalls sogar gegen Röslers Interessen. Auch in seiner neuen Führungsgruppe in der Partei ist Röslers Handschrift der Runderneuerung nicht wirklich erkennbar. Dort werden – inklusive seiner neuen Stellvertreterin Birgit Homburger – fast nur Führungskräfte sitzen, die auch schon das Team von Westerwelle bildeten. Der Ex-FDP-Chef und Außenminister übrigens zählt auch noch zum Team von Philipp Rösler. Kabinettsmitglieder sind nämlich automatisch Präsidiumsmitglieder. Die Möglichkeit, seine neue liberale Politik innerhalb der Partei verankern zu können, hat sich Rösler mit den Personalveränderungen erhalten. Schließlich sitzen er und seine Vertrauten, Generalsekretär Christian Lindner und der Chef des größten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, Daniel Bahr, an den entscheidenden Hebeln der innerparteilichen Macht. Das gibt ihnen die Chance, etwa im Herbst ein neues Grundsatzprogramm zu verabschieden, das ihre Handschrift trägt. Fraglich bleibt jedoch, ob es Rösler gelingt, eine inhaltliche Neuorientierung der FDP auch in praktische Politik umzusetzen – mithin ob Rösler, der 13. Vorsitzender der FDP, als erfolgreicher Chef oder glücklose Übergangsvariante in die Parteigeschichte eingehen wird.

Warum will Rösler Wirtschaftsminister werden?

Die Begründung erschien damals und erscheint auch heute noch aus Röslers Sicht überzeugend: Während ein Gesundheitsminister unschöne politische Entscheidungen, etwa die Anhebung der Beiträge zur Pflegeversicherung, zu treffen hat und zum Schuldigen für alle Fehler im System gestempelt wird, darf der Wirtschaftsminister rote Bänder bei der Eröffnung von High-Tech-Unternehmen zerschneiden und optimistisch anmutende Konjunkturdaten verkünden. Das verträgt sich natürlich mit dem Image eines Parteichefs besser. Philipp Rösler war in Niedersachsen Wirtschaftsminister der schwarz-gelben Koalition unter dem CDU-Regierungschef Christian Wulff. Eine fachliche Qualifizierung, etwa ein Volkswirtschaftsstudium, hat er jedoch nicht.

Wie ist Brüderle als Fraktionschef mit dem Anspruch auf einen Neuanfang vereinbar? Was Rainer Brüderle vom mitfühlenden Liberalismus der jungen Chefs in der FDP hält, ist bekannt: Nämlich nichts. Brüderle denkt scharf in Kategorien von Mehrheiten und Durchsetzbarkeiten. Die letzten vier Prozent in den Umfragen, die die FDP im Augenblick noch hat, sind nach Brüderles Auffassung sämtlich kleine Unternehmer und Selbstständige – und damit allesamt Anhänger eines Wirtschaftsliberalismus, den er vertritt. Brüderle wird sich wohl intensiv bemühen, die Fraktion der FDP in der schwarz-gelben Koalition als Hort der Marktwirtschaft zu etablieren – sei es bei der anstehenden Energiewende, den Hilfsfonds für finanziell klamme Euroländer oder bei der Verwendung künftiger Steuermehreinnahmen. Wer noch an die Kraft einer Mini-Steuersenkung innerhalb der Koalition glaubt, der findet seinen wichtigsten Mitstreiter bestimmt in Brüderle. Bei der inhaltlichen Neuaufstellung der Partei wird Brüderle ansonsten wohl kaum eine Rolle spielen.

Was qualifiziert Daniel Bahr für das Amt des Gesundheitsministers?

Zunächst einmal die Tatsache, dass er als Parlamentarischer Staatssekretär seit eineinhalb Jahren aufs Intensivste mit der Materie befasst ist. Aber es ist auch Bahrs politische Vita. Als der Polizistensohn und studierte Volkswirt vor neun Jahren in den Bundestag einzog, stürzte er sich sogleich auf Themen, um die alle anderen Liberalen eher einen Bogen machten. So avancierte der damals 25-Jährige in Windeseile zum FDP-Experten Nummer Eins in Sachen Gesundheit, Pflege, Generationengerechtigkeit. Rein fachlich wäre er schon beim Regierungswechsel als Gesundheitsminister in Frage gekommen. Und Philipp Rösler, der das Ressort völlig unbeleckt übernahm, fühlte sich auf den vier Jahre jüngeren Parteifreund so angewiesen, dass er den Staatssekretärsposten für Bahr zur Bedingung für den Amtsantritt machte. Guido Westerwelle hätte sich den jungen Münsteraner damals auch gut als Generalsekretär vorstellen können. Schließlich gehört Bahr, anders als sein bisheriger Ressort– und künftiger Parteichef, bei den Liberalen eher zur Abteilung Attacke. Den heftigen Streit mit der CSU um die Kopfpauschale im Jahr 2010 hat er nicht nur genossen – er hat ihn, indem er die Christsozialen zu „Wildsäuen“ erklärte, auch persönlich befeuert. Und er hat für seinen Minister viele politische Strippen gezogen. Der passionierte Marathonläufer und Hobbykoch gilt als gewiefter Taktiker, klar im Kopf, scharf in der Rede und politisch sehr ehrgeizig. Parteiintern ist er, als Chef des größten FDP- Landesverbands Nordrhein-Westfalen, zudem inzwischen so einflussreich, dass er den störrischen Rainer Brüderle mit einer Kampfkandidatur um den Vizeposten im Parteivorstand bedrohen und zum Einlenken bewegen konnte. Gut möglich also, dass die Gesundheitspolitik unter Bahr etwa entschiedener und auch FDP-lastiger wird. Um fachliche Akzeptanz jedenfalls muss sich der 34-Jährige trotz des fehlenden Medizinstudiums nicht mehr mühen.

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