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Die polnische Regierungschefin Beata Szydlo begrüßt Kanzlerin Angela Merkel.

© Reuters

Angela Merkel beim Visegrad-Gipfel: Vorgetäuschte Annäherung

Die Visegrad-Staaten setzen beim Treffen mit Merkel auf eine gemeinsame Lösung in der Flüchtlingskrise. Damit meinen sie allerdings keine Aufnahmequoten, sondern besseren Grenzschutz.

Polen will offenbar den Brexit dafür nutzen, sein Konzept einer Europäischen Union als loser Staatenbund ohne vertiefte Integration anzupreisen. Dies zeigte sich während des Visegrad-Gipfels in Warschau, zu dem Bundeskanzlerin Angela Merkel als Sondergast angereist war. Die Kanzlerin machte dabei gute Miene zum EU-Politikpoker der Mittelosteuropäer, der der bisherigen Politik Berlins zuwiderläuft. Während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der polnischen Gastgeberin und turnusgemäßen Vorsitzenden der Visegrad-Gruppe, Beata Szydlo, sowie den Regierungschefs aus Ungarn, Tschechien und der Slowakei zeigte sich Merkel offen für die Anliegen der mittelosteuropäischen EU-Lobbygruppe. Auch Szydlo täuschte Kompromissbereitschaft vor. „Wir sollten auch bei der Flüchtlingskrise eine Einigung finden“, sagte die Polin.

Bisher hatte der tschechische Premierminister Bohuslav Sobotka als Visegrad-Vorsitzender bei der Flüchtlingspolitik mäßigend auf die Vierstaatengruppe gewirkt. Unter Jaroslaw Kaczynskis polnischer Premierministerin Beata Szydlo ist jedoch ein rauerer Ton zu erwarten. Dies zeigte sich bereits in Warschau. Unter einer Einigung versteht die Visegrad-Gruppe nämlich nicht ein spätes Einlenken zur EU-weiten Flüchtlingsumverteilung mit Länderquoten. Vielmehr versteht sie darunter einen starken gemeinsamen EU-Grenzschutz und neue Sicherheitsinitiativen zur Verteidigung der Schengengrenze. Szydlo sprach sich auch für humanitäre Hilfe in Kriegsgebieten und Entwicklungshilfe vor Ort aus. Was Polen betrifft, fällt gerade diese Hilfe bisher äußerst mager aus. Auch das gerade von der polnischen Regierung vorbereitete neue Budget für 2017 sieht hier keine signifikanten Mehrausgaben vor.

Dass vor allem die Abschreckung von Flüchtlingen in Osteuropa Priorität hat, zeigte am Freitag auch eine Ankündigung Viktor Orbans. Der ungarische Premierminister stellte im Rundfunk die geplante Umgestaltung des bisherigen Stacheldrahtzauns an der Grenze zu Serbien und Kroatien vor. Nun soll daraus ein Grenzwall werden. „Die technischen Pläne sind in Arbeit, zum gegenwärtigen Zaun wird eine ernsthaftere technische Anlage kommen“, sagte der rechtskonservative Premierminister. „Diese Anlage wird gegebenenfalls auch mehrere hunderttausende Menschen auf einmal aufhalten können“, versprach er. Der EU warf Orban dabei Leichtsinnigkeit vor. „Die Bürokraten in Brüssel wollen die Flüchtlinge reinlassen und über die EU-Mitgliedstaaten verteilen“, wetterte Orban.

Eigentlich sollte das Treffen der Visegrad-Staaten dem Brexit gewidmet sein

Auch bei den Folgen des Brexit, dem das Warschauer Treffen der Visegrad-Staaten eigentlich gewidmet war, gab sich Szydlo nur oberflächlich gemäßigt. Im Klartext warnte die Polin Merkel vor weiteren EU-Austritten, auch in Osteuropa, wenn die Brüsseler Politik nicht nach den Wünschen der Visegrad-Gruppe angepasst würde. „Wir müssen die Lehren aus dem Austrittsentscheid Großbritanniens ziehen und darüber nachdenken, welche Reformen nötig sind, damit nicht weitere Staaten der Versuchung erliegen, die EU zu verlassen“, sagte Szydlo. „Wir müssen den Bürgern das Gefühl zurückgeben, dass die EU ihnen hilft.“

Erst Anfang Juli hat in der Slowakei die rechtsextreme Parlamentspartei „Volkspartei – Unsere Slowakei“ (LSNS) des Neofaschisten Marian Kotleba mit einer keineswegs aussichtslosen Unterschriftensammlung für ein Referendum über einen EU-Austritt begonnen.

Warschau indes will den Brexit in seinem Sinne für eine Wiederannäherung an Berlin nutzen. Nach ihrer Machtübernahme hatte Kaczynskis rechtsnationale Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) ausgerechnet Großbritannien zum strategischen EU-Partner erhoben. Nun hat sich offenbar die Einsicht durchgesetzt, dass der direkte westliche Nachbar Deutschland Polen nähersteht.

Szydlo forderte Merkel dazu auf, zusammen mit Polen an einer Stärkung der EU-Gemeinschaft mitzuarbeiten. „Dabei müssen wir die Themen suchen, die uns verbinden, und nicht die, die uns teilen“, sagte die Polin. Die EU sei für Polen sehr wichtig und eine starke EU läge im Interesse ihres Landes, versicherte Szydlo, die in ihrem Kabinett Minister dulden muss, die auch EU-skeptischere Ansichten vertreten. Allerdings scheint sich Szydlos Europaminister Konrad Szymanski, der wohl talentierteste Außenpolitiker in den Reihen der PiS, einstweilen gegen die anti-deutsche Fraktion durchzusetzen. „Eine gute Beziehung zwischen Berlin und Warschau ist die Bedingung für die Überwindung aller EU-Krisen“, hatte Szymanski vor Merkels Warschau-Besuch gesagt.

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