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Die Schweiz isoliert sich.

© dpa

Angst vor Jobverlust: Schweiz schränkt Zuwanderung ein

Die Schweiz will die Zuwanderung aus acht osteuropäischen Staaten einschränken. EU-Vertreter reagieren auf die neuen Hürden mit heftiger Kritik. Verstößt das Vorgehen der Eidgenossen gegen EU-Recht?

Die Schweiz fordert die Europäische Union heraus: Das Land will die Einwanderung aus acht osteuropäischen EU-Staaten stark drosseln – damit reagiert die Regierung der Eidgenossenschaft auf Klagen der Bevölkerung über einen zu starken Zuzug aus dem Ausland.

Konkret dürfen Schweizer Behörden zwischen Mai 2012 und April 2013 insgesamt nur noch 2000 Bewilligungen für Zuwanderung aus acht EU-Ländern erteilen: Betroffen sind Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen, Slowenien und die Slowakei. Seit Mai 2011 erteilten Schweizer Ämter rund 6500 Bürgern aus diesen acht EU-Ländern eine Aufenthaltserlaubnis. Ab Mai 2014 gilt dann auch für diese acht EU-Staaten die uneingeschränkte Personenfreizügigkeit in die Schweiz. In den vergangenen Jahren zog es viele Ausländer in die Eidgenossenschaft – 2011 siedelten sich rund 100 000 EU-Bürger in dem reichen Land an.

Die Zuwanderung schürt unter Schweizern die Angst vor Jobverlust und wachsender Kriminalität. Während die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und andere EU-Vertreter die neuen Hürden heftig kritisieren, applaudieren die meisten Schweizer Parteien. Die Christlichdemokratische Volkspartei ließ verlauten, die Regierung nehme „die Sorgen der Bevölkerung ernst“. Die rechtslastige Schweizerische Volkspartei (SVP) will unabhängig von der neuen Regelung die „Masseneinwanderung“ durch eine Volksabstimmung „stoppen“.

Die Regierung in Bern spielt die neue Regelung herunter. Die sozialdemokratische Justizministerin Simonetta Sommaruga betonte, die Drosselung diene „eher der Feinsteuerung“ der Migration in die Eidgenossenschaft. Die Regierung müsse den Zuzug aus der Fremde „gesellschaftsverträglich“ regeln – man handele gemäß dem Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU.

Unzufrieden mit der neuen Regelung ist der Schweizerische Bauernverband. Die Landwirte zwischen Bodensee und Genfer See heuern vor allem Erntehelfer aus den betroffenen acht osteuropäischen Ländern an. In den nächsten zwölf Monaten sollen jetzt Südeuropäer die Lücken auf den Feldern schließen – so jedenfalls hoffen es die Schweizer.

Die Brüsseler Kommission hat einen Tag nach der Entscheidung des Schweizer Bundesrats einen Streitschlichtungsmechanismus aktiviert. Die Sprecherin der Außenbeauftragten Ashton verwies auf Artikel 14 und 19 des Freizügigkeitsabkommens mit der Eidgenossenschaft aus dem Jahr 2002. „Die Vertragsparteien“, heißt es darin, „können den Gemischten Ausschuss mit allen Streitigkeiten über die Auslegung oder die Anwendung dieses Abkommens befassen.“ Er tagt im Juni, eine Dringlichkeitssitzung ist bisher nicht geplant.

Im konkreten Fall geht es um eine Passage in einem 2004 abgeschlossenen Zusatzprotokoll, das Übergangsfristen für Menschen aus den damals der EU beigetretenen Staaten regelt. Darin wird beschrieben, wann die Schweiz die Zuwanderung aus den neuen EU-Staaten begrenzen darf.

Die sogenannte Ventilklausel kann angerufen werden, wenn die Zuwanderung aus einem bestimmten Land um mindestens zehn Prozent über dem Durchschnitt der drei Vorjahre liegt. Das ist nach Ansicht des Schweizer Bundesrats der Fall. Nach Brüsseler Lesart befanden sich die meisten der 6500 EU-Bürger schon zuvor im Land und wollten nur eine Änderung ihres Aufenthaltsstatus erreichen. Unabhängig davon ist nach Ansicht der EU-Kommission die Spezialregelung für Osteuropa am 30. April 2011 ohnehin ausgelaufen. „Die Schweiz kann nur noch die allgemeine Schutzklausel ziehen“, so die Sprecherin Ashtons. Dafür wären knapp 62 000 Einwanderer aus allen EU-Staaten die Voraussetzung, doch waren es in den vergangenen zwölf Monaten nur etwas über 59 000. Deshalb spricht Ashton auch von einer Vertragsverletzung: „Diese Maßnahme ist weder wirtschaftlich durch die Arbeitsmarktsituation noch aufgrund der Anzahl von um Aufenthalt ersuchender EU-Bürger gerechtfertigt.“

Tschechien, Polen, Ungarn und die Slowakei haben die Einführung der Zuwanderungsquoten in einer gemeinsamen Erklärung am Donnerstag scharf kritisiert. In einer Zeit der Krise dürften die „wirtschaftlichen Freiheiten Europas“ nicht geschwächt werden, warnten die vier EU-Staaten. Ihre Bürger seien nur für rund zehn Prozent des gesamten Zustroms von Einwanderern in die Schweiz verantwortlich. Daher werte man die Ankündigung der Schweiz als eine „rein politische Entscheidung“. mit dpa

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