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Politik: Angst vor Kurdistan

Die Kurden im Nordirak legen eine Verfassung für ein eigenes Bundesland vor – Ankara will ihre Autonomie unbedingt verhindern

Von Susanne Güsten, Istanbul

Die Debatte um einen Irak-Krieg hat in der Region selbst eine Eigendynamik ausgelöst, die kaum mehr einzudämmen ist. Im Vorgriff auf einen US-Angriff und den Sturz von Saddam Hussein legten die beiden Kurdengruppen im Nordirak jetzt eine Verfassung für ein eigenes Bundesland in einem künftigen Bundesstaat Irak vor. Das Dokument soll am kommenden Freitag vom eigens wiederbelebten nordirakischen Kurdenparlament verabschiedet werden und sieht ein weitgehend autonomes „Kurdistan“ mit eigener Flagge, Landessprache und Verfassung vor. Die Türkei reagierte sofort: Ankara werde diese Entwicklung nicht mit den Händen im Schoß verfolgen, warnte Ministerpräsident Ecevit.

Um das Projekt „Kurdistan“ auf den Weg zu bringen, tritt das Parlament der kurdischen Autonomiezone im Nordirak erstmals seit 1998 zusammen. Seither hatte die Volksvertretung nicht tagen können, weil die beiden darin vertretenen Kurdengruppen ihre Differenzen lieber auf dem Schlachtfeld austrugen. Die Chance zum Ausbau ihrer Autonomie im Nordirak zur Eigenstaatlichkeit hat die Streithähne nun veranlasst, ihre Differenzen beiseite zu legen und sich gemeinsam für das angestrebte Kurdistan einzusetzen. Bei ihrem ersten Treffen seit Jahren vereinbarten die verfeindeten Kurdenführer Jalal Talabani und Masud Barzani vor drei Wochen die Wiederbelebung des Parlaments und die Ausarbeitung einer Verfassung. Das nun vorgelegte Dokument liest sich aus türkischer Sicht wie eine Kriegserklärung. „Kurdistan“ soll das nordirakische Bundesland demnach heißen. Offizielle Landessprache soll das Kurdische sein, und auch eine eigene Landesfahne soll es geben.

Ihr Gebiet wollen die Kurden über die bisherige Autonomiezone hinaus nach Südwesten ausdehnen. Als Hauptstadt haben sie sich die Erdöl-Stadt Kirkuk auserkoren, die derzeit von Bagdad kontrolliert wird und vor deren Besitzergreifung Ankara die Kurden besonders deutlich gewarnt hat, weil ihre Bodenschätze die wirtschaftliche Lebensfähigkeit eines Kurdenstaates sichern würden.

Zwar sieht der Verfassungsentwurf ausdrücklich vor, dass dieses „Kurdistan“ unter dem Dach einer irakischen Föderation stehen und damit nicht die volle Unabhängigkeit haben soll. Der Anspruch auf eigene Fahne und Landessprache und der Griff nach Kirkuk bestärken die Türken jedoch in ihrem Misstrauen gegen das Vorhaben. Immer wieder versicherten die nordirakischen Kurdenführer, sie strebten keine Eigenstaatlichkeit an, erklärte Ministerpräsident Ecevit; in Wirklichkeit hätten sie längst einen De-facto-Staat aufgebaut. „Wenn sie daraus nun auch noch einen offiziellen Staat machen wollen, dann wird es sehr ernste Probleme geben.“ Die Türkei werde das jedenfalls nicht untätig mit ansehen.

„Wir werden die Gründung eines neuen Staates im Nordirak unter keinen Umständen hinnehmen“, betonte auch der türkische Außenminister Sükrü Sina Gürel. Die Türkei hat mehrfach durchblicken lassen, dass sie auch vor einer militärischen Intervention nicht zurückschrecken würde, um die Entstehung eines Kurdenstaates an ihrer Südgrenze zu verhindern; mehrere tausend türkische Soldaten stehen bereits im Nordirak. Wenn beide Seiten auf ihrem Kollisionskurs bleiben, könnte es dort schon Krieg geben, bevor sich die Welt über den Umgang mit Saddam Hussein geeinigt hat.

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