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Junge neu eingebürgerte Sachsen

© dpa

Angst vor Migration: Alter schlägt Schicht

Neuere Umfrageergebnisse aus England zeigen: Ob Menschen Migration als Bedrohung empfinden, hängt weniger von ihrer sozialen Situation ab

Wem macht Einwanderung Angst? Einem landläufigen Vorurteil zufolge denen, die am meisten Konkurrenz von Einwanderern fürchten: Niedriglöhnern, prekär Beschäftigten und Menschen ganz ohne Job oder andere wirtschaftliche Ressourcen. Hippe Gutverdiener dagegen fänden Multikulti toll. Bunt scheine ihnen schon deshalb schön, weil es gefahrlos für sie sei.
Klingt plausibel, könnte aber einigermaßen falsch sein. Anscheinend spielt das Alter von Menschen eine viele größere Rolle als ihre Schichtzugehörigkeit dafür, ob sie sich von Migration bedroht fühlen. Das jedenfalls fand Daniel Elton heraus. Der Autor des linken britischen Blogs leftfootforward.org schaute sich die März-Daten des Instituts Ipsos Mori näher an. Dessen Meinungsforscher fragen die Briten jeden Monat danach, was sie am stärksten umtreibt. Dabei zeigte sich, dass die Wirtschaft, obwohl nach wie vor Nr. 1 der britischen Sorgen, mit 36 Prozent der Nennungen ein paar Bedeutungspunkte verloren hat und Einwanderung mit 35 Prozent nur knapp darunter liegt. In der Gruppe der über 55-Jährigen allerdings war sie das Top-Thema – und zwar unabhängig davon, ob die Befragten zur bessergestellten Mittelklasse gehörten oder zu den Schichten, die Briten immer noch mit dem guten alten Wort „working class“ bezeichnen.

Fürs Segment der 18- bis 34-Jährigen hingegen galt das nicht, ebenfalls über Schichtzugehörigkeiten hinweg, ebenso wenig für die mittlere Generation, der das Thema Einwanderung zwar etwas wichtiger ist. Working class und middle class lagen dennoch auch hier näher beieinander als jede von ihnen den älteren Angehörigen derselben Schicht. In anderen Fragen hingegen zeigte sich die Schichtzugehörigkeit bestimmender als die Alterskohorte, fand Elton in einer Gegenprobe heraus. Wer zum Beispiel Wirtschaft für das wichtigste Thema des Königreichs hält, ähnelt darin seiner sozialen viel eher als seiner Altersklasse.
Schwer zu sagen, ob sich die britischen Werte so einfach diesseits des Kanals finden ließen. Aber womöglich würde sich ein Blick der Umfrageinstitute auf die Korrelation von Alter und Migrationsängsten auch hier lohnen. Etwas anekdotische Evidenz gibt es ja: Zur islamophoben oder sonst „fremden“feindlichen „Desintegrationspublizistik“ (Klaus J. Bade) sollen in den Buchhandlungen auffallend oft ältere Semester greifen. Und auch hier bei uns wird die Debatte in einer alternden Gesellschaft geführt, in der die Skeptikerfraktion durch steigende Lebenserwartung stetig wachsen dürfte.
Sonst gilt: Auf die Jungen hoffen. Das sind zwar nicht mehr so viele, aber sie haben viele Großeltern. Während die den Untergang ihrer Welt vielleicht deshalb so düster heraufziehen sehen, weil Deutschland und die Deutschen inzwischen anders aussehen als in ihrer Kindheit, werden ihre Enkel genau dieses andere Deutschland als ihres ansehen – und könnten Oma und Opa damit anstecken. Sahen wir nicht in den letzten Jahren Hausfrauenehemänner die Frauenfrage entdecken, als ihre berufstätigen Töchter hart an die gläserne Decke stießen? Vielleicht folgen auf die Altersfeministen demnächst ja die spätberufenen Multikulturalisten.

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