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Die schwer verletzte Eman Ibrahim auf der Intensivstation des koptischen Sankt Markus Hospitals.

© Katharina Eglau

Alexandria: Anschlag auf den Glauben

Dem Attentat in Alexandria folgte eine Straßenschlacht der Religionen. "Wir sind nicht wütend auf die Muslime", sagt der Pfarrer der attackierten Allerheiligenkirche, "nur auf die falschen". Aber die würden immer mehr.

Tiefe Wolken hängen am Sonntagmorgen über der ägyptischen Hafenstadt Alexandria. Im Inneren der koptischen Allerheiligenkirche im Stadtteil Sidi Bechr riecht es nach Blut. Durch die offenen Fenster weht die kühle Morgenluft einen fauligen Gestank herein. An der Fassade des weißen Gotteshauses kleben immer noch kleine Fleischfetzen.

„Herr, erbarme dich unser“, singen sie immer wieder, die etwa 200 Gläubigen, die trotz allem zur Frühmesse gekommen sind. Sie haben sich vor dem Altar versammelt, um den vierten Advent zu feiern. „Herr, erbarme dich“, und draußen läuten dunkel die Glocken.

Kratzend und klirrend hört man ein halbes Dutzend Straßenfeger in beigen Overalls Scherben und Trümmer in der Khalid-Hamada-Straße zusammenkehren. Die sechs verkohlten Autos sind inzwischen weggeschafft, ein schwarzer Honda mit zerborstener Windschutzscheibe steht in der Garage der Pfarrei. Alle Zufahrtsstraßen sind durch dichte Kordons von Sonderpolizei abgeriegelt. In Sichtweite der Kirche stehen mehrere schwarze Hundertschaften in Dreierreihen stramm, während sich ihre Offiziere zusammen mit Geheimpolizisten in Grüppchen die Füße vertreten.

Getragen und ruhig breiten sich die liturgischen Gesänge der vier koptischen Pfarrer aus, immer wieder unterbrochen von Schluchzen und lautem Wehklagen. Männern rinnen stumm die Tränen über das Gesicht. Weihrauch wabert durch das kalte Kirchenschiff. Die wenigen jungen Besucher sitzen mit gesenkten Köpfen in den Holzbänken. Alle können immer noch nicht fassen, was ihnen und ihren Familien mitten in der Nacht zu Samstag zugestoßen ist.

In der Vorhalle der Kirche steht Kamil Issa, 63. Früher ist er auf einem griechischen Frachter zur See gefahren. Jetzt ist er Rentner und verkauft ehrenamtlich die koptische Kirchenzeitung „Unser Land“. Die Attentäter, sagt er, seien nicht aus Afghanistan oder Pakistan, keine Ausländer, wie es Staatspräsident Hosni Mubarak in einer ersten Reaktion verkündet hatte. „Die sind von hier“, sagt er. Und da mischt sich schon ein junger Mathematiklehrer ein. „Wir können keine Kirchen bauen, wir können nicht frei unseren Glauben leben“, sagt er. Wir Christen. Man mache ihnen ihren Platz in der ägyptischen Gesellschaft streitig. Er und seine Familie entkamen der Bombe nur, weil seine Frau Sekunden vor der Explosion doch noch einmal in das Kirchenschiff zurückging, um für die Tochter eine Kerze anzuzünden. „Gott hat uns das Leben gerettet“, sagt er.

Das Neue Jahr 2011 war gerade eine halbe Stunde alt, der Gottesdienst soeben beendet, da zündete ein Attentäter eine Bombe, die in der Nähe der Kirche in einem Auto versteckt war. Die britische BBC zeigte einen per Handy aufgenommenen Videoclip, auf dem zu sehen ist, wie die Gemeinde drinnen von der Explosion aus ihrem Schlussgesang gerissen wird. Auf der Straße lagen da schon Tote. Menschenteile in Blut. Kleiderfetzen. Verletzte schrien vor Schmerzen. Scherben, Trümmer und verkohlte Autos überall. Es waren Bilder, wie die ägyptische Bevölkerung sie aus Bagdad kennt.

21 Menschen starben sofort und wurden schon am Samstag im 70 Kilometer entfernten Menas-Kloster beerdigt. Einige Schwerverletzte sind per Hubschrauber nach Kairo gebracht worden, die meisten Verletzten kamen ins benachbarte Sankt-Markus-Hospital. Dort liegt auf der Intensivstation Eman Ibrahim.

Das Gesicht der 45-jährigen Mutter zweier Kinder ist entstellt von Schnittwunden. Ihre Augen sind geschlossen. Sie wolle mit niemandem mehr sprechen, sagen die Ärzte. Bisher haben sie es nicht gewagt, ihr zu sagen, dass ihr Mann nicht mehr am Leben ist. Der Sohn liegt mit amputiertem Bein in einer anderen Klinik, nur die Tochter blieb unverletzt.

Noch nie zuvor in der Geschichte Ägyptens hat es einen solchen Anschlag auf ein Gotteshaus gegeben – in einem Land, in dem Christen etwa zehn Prozent der rund 80 Millionen Einwohner ausmachen. Doch folgte dem Attentat eine Straßenschlacht, keine Besinnung, kein gemeinsames Innehalten, kein geteiltes Entsetzen. Es ist etwas aus den Fugen.

Fernsehbilder aus der Nacht zeigen ein ausgeglühtes Auto, das vor der hell erleuchteten Kirche auf dem Dach liegt. „Wo ist die Regierung?“, skandierten bis zum frühen Morgen wütende Christen. „Höre, Mubarak, die Herzen der Kopten stehen in Flammen!“, riefen sie und trugen in einer Prozession ein rasch zusammengezimmertes Holzkreuz durch die Straßen, an dem blutgetränkte Kleider der Opfer befestigt waren. Bald griffen Gruppen junger Männer die gegenüberliegende Moschee an, warfen ihre Fensterscheiben ein und demolierten die Eingangstür. Die Brandspuren an der Fassade reichten meterhoch. Muslimische Jugendliche antworteten mit Steinen und Flaschen, unter Allah-Akbar-Rufen attackierten sie sogar einen Krankenwagen, der einen Schwerverletzten zur Intensivstation der Universitätsklinik bringen wollte. Andere griffen das Pfarrhaus neben der Kirche an und versuchten es anzuzünden. Erst nach Stunden gelang es Einheiten der Sonderpolizei, die Wütenden mit Tränengas und Schlagstöcken auseinanderzutreiben.

Und auch am Sonntag, der in Ägypten normaler Werktag ist, blieb die Lage weiter gespannt. Im von Christen bewohnten Kairoer Stadtteil Schubra gingen tausende Menschen auf die Straße. In Alexandria fürchten die Behörden, bei der Beerdigung der bisher noch nicht identifizierten Opfer könnten sich die Unruhen auf die ganze Stadt ausdehnen. „Wir sind nicht wütend auf die Muslime, nur auf die falschen Muslime“, sagt in den Trümmern der Allerheiligenkirche Pfarrer Mina Adel, der hier seit 20 Jahren Seelsorger ist. „Das Problem ist nur, dass inzwischen die Mehrheit zu den falschen Muslimen zählt und ihre Zahl ständig steigt.“ Der 60-Jährige war Ingenieur, bevor er sich für den Priesterberuf entschied. Er mustert den Boden seines Büros, wo bisher niemand die Zeit hatte, die Splitter der durch das Attentat geborstenen Fensterscheibe zusammenzukehren. Mit dem Scheich der gegenüberliegenden Moschee gab es nach seinen Worten in der Vergangenheit keine Spannungen, eher eine große Sprachlosigkeit. Von den muslimischen Würdenträgern jedenfalls hat bisher keiner den Weg über die Straße gefunden, um den christlichen Nachbarn ihr Beileid auszusprechen.

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