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Anschlag in Moskau: Russland voller Wut

Russlands Premierminister Wladimir Putin spricht bereits von Vergeltung. Welche politischen Folgen hat das Attentat auf dem Flughafen Domodedowo?

Der Schock sitzt tief. Nach dem Attentat am Moskauer Flughafen Domodedowo vom Montag mit mindestens 35 Toten trauert Russland um die Opfer, rätselt über die Urheber – und fürchtet zugleich neue Anschläge.

Welche Erkenntnisse haben die Ermittler über den Hergang des Anschlags?

Ein Attentäter mit Bombe ist nach Darstellung der Zeitung „Kommersant“ vom Parkplatz über einen Gang direkt in die Ankunftshalle des Flughafens gelangt, der nicht mit Metalldetektoren oder sonstigen Scannern ausgestattet war. Dort zündete er 16:32 Uhr die Bombe, die über eine Sprengkraft zwischen 7 und 10 Kilogramm TNT verfügte. Die zerstörerische Wirkung der Bombe wurde noch dadurch verstärkt, dass sie mit Metallteilen und Schrauben gefüllt war. Russische Nachrichtenagenturen berichten, dass es sich auch um eine Attentäterin gehandelt haben könnte.

Wie reagiert die politische Führung?

Der Mittwoch wurde in Moskau zum Trauertag erklärt. Präsident Dmitri Medwedew, der seineAbreise zum Internationalen Wirtschaftsforum in Davos auf einen späteren Zeitpunkt verschob, bemühte sich am Dienstag, der Öffentlichkeit Schuldige zu präsentieren. Den Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB, Alexander Bortnikow, wird es allerdings nicht treffen: Er soll stattdessen Vorschläge machen, wer die Verantwortung für das Geschehene zu tragen hat. 2010, so Medwedew, sei die Zahl der Anschläge in Russland gestiegen, das sei ein „ernstes Signal“ für den FSB und die Polizei. Zudem attackierte er die Verwaltung des Flughafens: „Das, was passiert ist, zeigt, dass es offensichtlich eine Verletzung der Sicherheitsnormen gab. Dafür müssen alle die Verantwortung tragen, die dort Entscheidungen treffen.“ Gleichzeitig kritisierte er, dass die Sicherheitsorgane aus dem Anschlag auf die Moskauer Metro im März 2010 keine Lehren gezogen hätten: „Leider ist das immer so bei uns: Erst mobilisieren wir alle Kräfte, alle werden zu höchster Aufmerksamkeit aufgerufen. Und nach einer bestimmten Zeit geht die Kontrolle und die Aufmerksamkeit verloren – und das nutzen die Terroristen.“

Erst später trat am Dienstag Premierminister Wladimir Putin vor die Öffentlichkeit. In seiner Amtszeit als Präsident hatte er sich in ähnlichen Situationen meist hart und unnachgiebig präsentiert. Nachdem er am Morgen in einem der Moskauer Krankenhäuser Verletzte besucht hatte, erklärte er am Abend auf einer Regierungssitzung: „Ich zweifele nicht daran, dass dieses Verbrechen aufgeklärt und eine Vergeltung unausweichlich sein wird.“ Die Angehörigen der Toten erhielten vom Staat eine Kompensation von drei Millionen Rubel (etwa 75 000 Euro), die Verletzten etwa die Hälfte dieser Summe.

Welche Wirkung hinterlässt der Anschlag bei den Menschen im Land?

Bei vielen Menschen werden jetzt Erinnerungen an den Anschlag vor zehn Monaten wach, als sich zwei Selbstmordattentäterinnen in der Metro in die Luft gesprengt und 42 Menschen in den Tod gerissen hatten. Aber doch ist alles anders. Denn am Montag attackierten die Terroristen das internationale Russland, Geschäftsleute, die heute in Dubai und morgen in New York sind. Es ist, als ob jenes Fenster gesplittert ist, durch das die Außenwelt auf das Russland schaut, das 2014 die Olympischen Winterspiele veranstaltet und 2018 die Fußball-WM.

Und der Anschlag in Domodedowo ist auch ein Schlag ins Gesicht des Inlandsgeheimdienstes FSB. Denn während im März 2010 viele Russen Verständnis dafür zeigten, dass eine U-Bahn mit 182 Stationen unmöglich vollkommen geschützt werden kann, lassen viele nun ihrer Wut auf Polizei und Geheimdienst freien Lauf. „Die sammeln doch alle nur Schmiergelder ein“, schimpft etwa Sergej, Anrufer im Radiosender „Komsomolskaja Prawda“ am Montagabend. „Wie soll ich das denn verstehen: Im Fernsehen wird mir erklärt, dass alles in Ordnung ist, und dann sprengen die den Flughafen hier in die Luft?“, wundert sich ein anderer. Nach Informationen russischer Medien hatte der Geheimdienst schon vor etwa einer Woche Hinweise darüber erhalten, dass es zu einem Attentat am Flughafen kommen könnte.

Die Bewohner der russischen Hauptstadt haben sich von dem Attentat nicht beeindrucken lassen, am Dienstag herrschte der gewohnte Rhythmus: Staus auf den Straßen, Menschenmengen in der Metro. Lediglich an den Metroeingängen stehen zwei oder drei Polizisten, die hin und wieder die Rucksäcke von Passagieren kontrollieren. Von den „verstärkten Sicherheitsvorkehrungen“, die Präsident Medwedew noch am Montagabend angeordnet hatte, ist allerdings wenig zu sehen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass der oder die Attentäter aus dem Kaukasus kommen?

Es liegt nahe. Und den Russen wird erneut auf schmerzhafte Weise bewusst, dass es in einem Land, in dessen einem Teil Bürgerkrieg herrscht, auch im anderen Teil keine Sicherheit geben kann. Der Bürgerkrieg spielt sich im Süden des Landes ab, in den nordkaukasischen Republiken Dagestan, Inguschetien und Tschetschenien. Doch während die Situation in Tschetschenien, wo mit eiserner Hand der Moskauer Statthalter Ramsan Kadyrow herrscht, inzwischen relativ ruhig ist, wird in Dagestan wöchentlich gekämpft. Kleine Gruppen bewaffneter Männer, in den russischen Medien meist als „islamistische Kämpfer“ tituliert, erschießen Vertreter des Staates, also Polizisten, Minister oder Bürgermeister. Der Staat reagiert darauf mit Härte. „Drei Kämpfer der terroristischen Diversionsgruppe von Kisljar wurden im Zuge einer Spezialoperation vernichtet“, heißt es etwa in einer Mitteilung des Nationalen Antiterroristischen Komitees vom Wochenende. Einer der Getöteten war Pachruddin Gadschijew, ein Organisator des Terroranschlags von Kisljar im März 2010 und mehrerer tödlicher Attacken auf staatsloyale Imame und Polizisten. Meist werden die „Terroristen“ bei den Operationen gleich getötet, deshalb kommt es praktisch nie zu Gerichtsprozessen, in denen die Öffentlichkeit mehr über die wahren Gründe für die Konflikte erfahren könnte. Denn eine der Erklärungen für den Hass der „Islamisten“ auf die Staatsorgane ist neben der hohen Arbeitslosigkeit auch die ausufernde Korruption in Dagestan: Hilfsgelder aus Moskau werden veruntreut, Ämter verkauft und Gerichte für persönliche Zwecke instrumentalisiert. Nach Dutzenden Attacken und „Spezialoperationen“ innerhalb weniger Monate bezeichnete eine Expertengruppe der staatlichen „Gesellschaftskammer“ die Lage als „zunehmend kritisch“.

Welchen Einfluss wird das Geschehen auf die politische Linie von Präsident Medwedew haben?

Medwedew verfolgt im Nordkaukasus eine andere Strategie als sein Vorgänger Putin. Neben einem harten Vorgehen gegen Islamisten und Separatisten versucht er, das Gebiet wirtschaftlich zu entwickeln, um den Menschen vor Ort eine Perspektive zu bieten. Dazu ernannte er vor einem Jahr als Präsidentenvertreter für den Nordkaukasus den Unternehmer Alexander Chloponin, der eine ganze Reihe ehrgeiziger Projekte vorlegte. Doch das größte Hindernis für Investitionen bleibt die schwierige Sicherheitslage, die Russland mit den bewährten Mitteln nicht in den Griff bekommt. „Unsere Sicherheitsdienste glauben, dass man die Lage mit mehr Kontrollposten und Passkontrollen verbessern kann“, schimpfte am Dienstag der Duma-Abgeordnete Gennadij Gudkow. Aber im Kampf gegen Terroristen sei, so Gudkow, das Agentennetz gefragt: „Und das hat wieder nicht funktioniert.“

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