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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

© dpa

Anschlag von Ansbach: Der Fall, den Merkel immer gefürchtet hat

Der Attentäter von Ansbach ist ein Syrer, seine Tat hat wohl einen islamistischen Hintergrund. Angela Merkel muss sich auf eine böse Sommerdebatte über die Flüchtlingspolitik einstellen.

Von Robert Birnbaum

Den Fall haben alle gefürchtet, und doch hat jeder gehofft, dass er nie eintritt. Bis zum frühen Montagnachmittag spiegeln die Stellungnahmen von Spitzenpolitikern in Berlin und in Bayern zur Bombe von Ansbach die Hoffnung wieder. Der 27-jährige Syrer, dessen Sprengsatz 15 Menschen verletzt und ihn selbst getötet hat, könne ein islamistischer Terrortäter sein, eine labile Persönlichkeit oder eine Kombination aus beidem, sagt Innenminister Thomas de Maizière (CDU) noch gegen 15 Uhr in Berlin. Vorsichtig äußert sich zur gleichen Zeit auch sein bayerischer Kollege Joachim Herrmann (CSU) in Ansbach: Vieles deute „schon sehr“ auf islamistischen Hintergrund, doch sicher sei das nicht.

Nur wenige Minuten später ist er sich sicher. Herrmann erfährt von den Auswertern der Polizei, dass sie ein Bekennervideo auf dem Handy des Täters gefunden haben. Der Mann beziehe sich auf den Anführer der Terrormiliz „Islamischer Staat“, Abu Bakr al Baghdadi, und kündige im Namen Allahs Racheakte an gegen Deutsche, weil sie Muslime töteten. Damit, sagt Herrmann, sei es nun „unzweifelhaft“: Was in Ansbach stattgefunden habe, sei ein „Terroranschlag mit islamistischer Überzeugung“.

Den Fall haben alle gefürchtet, die Kanzlerin vorweg. Angela Merkel, berichten Leute, die sie in jüngster Zeit in internen Runden erlebt haben, sei schon über die letzten Anschläge sehr beunruhigt gewesen. Die Silvesternacht von Köln hat ihrem freundlichen Flüchtlingskurs einen schweren Schlag versetzt, weil danach die Debatte von Verdächtigungen, Ängsten und Sicherheitsfragen beherrscht wurde. Schon damals schwante düster einem Regierungsmann: Ein Flüchtling, der sich als IS-Terrorist erweist, „das wäre Köln zum Quadrat“.

Frauke Petry sarkastisch

Nach dem Axt-Attentat von Nürnberg ging Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) sofort ins Fernsehen und bemühte sich um Einordnung: Nein, es gebe keine erhöhte Terrorgefahr durch Flüchtlinge; die meisten Attentäter seien in Europa aufgewachsen. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) stufte den Täter als Grenzfall ein – ein Amokläufer, der vom IS-Terror inspiriert worden sei.

Doch der Täter von Ansbach könnte wirklich derjenige sein, der – psychische Probleme auch bei ihm hin und her – das erste erfolgreiche Attentat im Namen des IS auf deutschem Boden verübt hat. Und Merkel muss sich jetzt auf eine böse Sommerdebatte einstellen.

Wie die im Extremfall aussehen könnte, hatte schon während des Münchner Mordanschlags der Dresdner CDU-Bundestagskandidat Maximilian Krah verdeutlicht. „Das muss der Wendepunkt sein: Die Willkommenskultur ist tödlich“, verkündete der Rechtsanwalt via Twitter aus München, als dort noch gar nichts klar war. Hinterher gab er sich beleidigt über den Shitstorm, den er erntete. Krah blieb nicht der einzige aus seiner politischen Ecke, der sich mit vorschnellem Urteil blamierte.

Doch jetzt dürften sie rasch wieder Oberwasser bekommen. AfD-Chefin Frauke Petry spießte auf ihrem Twitter-Kanal ein Interview von CDU-Generalsekretär Peter Tauber auf, der darin Angela Merkels „Wir schaffen das“ als teilweise erfüllt beschrieb, weil jeder Flüchtling ein Dach über dem Kopf habe. Petry hängte sarkastisch den Hashtag „#Ansbach“ dahinter. Dass Taubers Interview vor „Ansbach“ geführt worden war – egal. Und der Berliner CDU-Chefwahlkämpfer Frank Henkel spricht von „völlig verrohten Personen“, die Deutschland „importiert“ habe – solche Wortwahl kannte man bisher von CDU-Spitzenleuten auch noch nicht.

Für Merkel und ihre Regierung wird sehr viel darauf ankommen, dass sie richtig reagieren. Die Kanzlerin selbst ist gefragt und ihre engsten Mitarbeiter – wie etwa de Maizière. Der Innenminister ist in den vergangenen Monaten auch in den eigenen Reihen viel kritisiert worden – unglückliche Formulierungen, hölzerne Auftritte, unbelegte Behauptungen. Im Fall München hat er aber auch nach Ansicht des einen oder anderen Kritikers eine gute Figur gemacht – ein Kümmerer, der an den Ort des Geschehens in die bayerische Landeshauptstadt reist und besonnene, betroffene Worte fand.

Nicht "Merkels Flüchtling"

Am Montag zieht der Innenminister die erste, sachliche Verteidigungslinie. Der Täter von Ansbach war ein Flüchtling, ja – aber in seinem Fall hat der Staat nach dem ersten Anschein so ziemlich alles gemacht und richtig gemacht, was seine Aufgabe ist. Der Mann, vor zwei Jahren und also lange vor der großen Flüchtlingswelle aus Aleppo gekommen, ist ordnungsgemäß registriert und überprüft worden. Dabei fanden sich keine Hinweise in den Datenbanken der Sicherheitsbehörden. Er hat ein ordentliches Verfahren durchlaufen, war geduldet bis zu einer geplanten Abschiebung nach Bulgarien, dem EU-Land, in dem er nach den Dublin-Regeln Aufnahme hätte finden müssen.

Kurz: Dieser Syrer ist nicht „Merkels Flüchtling“, so wenig wie er zum Beispiel „Horst Seehofers Flüchtling“ ist, wenngleich auch diese Tat in seinem Bundesland stattfand – in einem Bayern, das seine CSU-Regierung gerne, aber, denkt man nur an München, auch mit gewissem Recht als Sicherheitshochburg der Republik feiert. Dass Würzburg, München und jetzt Ansbach nicht in rot-grün regierten Ländern liegen, dürfte dazu beigetragen haben, dass Seehofer seinen Truppen und sich selbst Zurückhaltung verordnet hat. Da mag insgeheim schon der eine oder andere an Grundgesetzänderung im Blitzverfahren für den Bundeswehr-Einsatz im Inneren denken – öffentlich belässt man es wie der CSU-Chef selbst bei abstrakten Versicherungen: „Der Rechtstaat wird nicht weichen.“

Ins Detail werden sie bei der CSU am Dienstag sowieso gehen – da trifft sich der Parteivorstand zu einer seit langem geplanten Klausur, bei der die innere Sicherheit zentrales Thema werden soll. Innenminister Herrmann hat eine Reihe von Vorschläge zusammengetragen.

Ein paar davon lässt er am Montag durchblicken. Bessere Schutzausrüstung für die Streifenpolizei, und man müsse das Ausländerrecht überprüfen, auch die Frage, wann man einen straffällig Gewordenen zum Verlassen des Landes zwingen könne. Und über den Einsatz der Bundeswehr müsse geredet werden, bevor er nötig werden könnte. Soldaten seien zwar auch kein Allheilmittel, „aber in der Summe müssen wir uns noch stärker aufstellen“. Und ohnehin, sagt Herrmann: „Wir müssen dem Thema Sicherheit absolute Priorität einräumen.“ Nach „Köln“ hat er das so ähnlich gesagt. Doch nach „Ansbach“ ist der Fall wohl da.

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