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Anti-Piraten-Mission: "Der Einsatz von Militär ist nicht gerechtfertigt"

Der Bundestag hat das Einsatzgebiet der Marine vor Somalia ausgedehnt. Doch die Mission ist ethisch bedenklich, sagt Volker Stümke von der Führungsakademie der Bundeswehr.

Herr Stümke, der Bundestag hat einer Ausweitung des Mandatsgebiets für den Anti-Pirateneinsatz vor Somalia zugestimmt. Ist es eine richtige Entscheidung, das Missionsgebiet zu erweitern und sonst die Aufgaben bestehen zu lassen?

Die Ausweitung der Mission ist ein weiteres Indiz für eine  zunehmende Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Das ist etwas, was mich bedenklich stimmt.

Sie äußerten vor Kurzem öffentlich Zweifel, ob die Marinemission ethisch gerechtfertigt sei. Wie kommen Sie dazu?

Es gibt vier klassische Kriterien, um zu prüfen, ob ein gerechter Krieg vorliegt. Und aus Sicht des Ethikers bestehen Einwände gegen diese Militärmission, da ein Kriterium nicht erfüllt wird: Die ultima ratio sehe ich nicht. Militärische Gewalt muss das äußerste Mittel sein – und das ist hier nicht der Fall.

Sie lehnen also nicht prinzipiell ein Vorgehen der Staatengemeinschaft gegen Piraten ab, sondern lediglich die Form des Einsatzes?

Richtig. Generell halte ich einen Einsatz gegen Piraten für völlig legitim. Piraten sind Verbrecher und keine Sozialromantiker. Sie kapern Schiffe, gefährden Menschenleben, da ist es angemessen, darauf zu reagieren. Es gibt aber ein gewichtiges Gegenargument gegen Atalanta: Momentan wird sich ausschließlich auf das Militär als Lösung des Seeräuberproblems konzentriert.

Welche Alternative zur Mission Atalanta bestehen denn Ihrer Meinung nach?

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat selber andere Maßgaben genannt. In den vier Resolutionen der UN zu Somalia aus dem vergangenem Jahr werden Alternativen zum Einsatz des Militärs vorgeschlagen: Die Seemänner sollten besser ausgebildet werden, Reeder könnten längere Routen in Kauf nehmen und das Seegebiet vor Somalia meiden. Es gibt also andere Mittel gegen die Überfälle.

Sie wurden von einem jungen Soldaten gefragt, was es für ihn bedeute, an einem ethisch umstrittenen Einsatz teilzunehmen. Sollte er ein Mitwirken an der EU-Mission verweigern?

Ich war von der Frage beeindruckt. Dass junge Offiziere kritische Rückfragen an einen Einsatz stellen, ist ein gutes Zeichen: Bundeswehrsoldaten nehmen ethische Bedenken ernst und prüfen sorgfältig die Befehle. Meine Antwort war allerdings ein wenig unbefriedigend: Es ist eine Gewissensentscheidung. Jeder Soldat muss für sich prüfen, ob er seine Teilnahme vor sich selber - und als Christ ergänze ich: vor Gott - vertreten kann.

Das klingt nach einer leichten Antwort – geben Sie denn keine Empfehlung ab?

Ich kann keine andere Antwort geben. Es ist keine eindeutige Situation, so dass ich mich nicht verpflichtet fühlte, Soldaten vor einem Einsatz abzuraten. Die Bundeswehr ermöglicht es Soldaten, bestimmte Befehle aus Gewissensgründen zu verweigern. Hier sehe ich einen Fall, wo das Nachdenken über eine Verweigerung möglich wäre.

Es gab einen Offizier, der sich weigerte, bei der Entwicklung einer Software zu helfen, die den Alliierten beim Angriff auf den Irak hätte nutzen können. Die Bundeswehr reagierte auf diese Weigerung harsch und beförderte den Major zunächst nicht mehr.

Das stimmt. Leicht ist eine Verweigerung nie. Das Gewissensurteil ist ein persönliches und mich verpflichtendes Urteil – diese Entscheidung sollte nicht leichtfertig gefällt werden. Denn es gibt natürlich Konsequenzen und die muss man bereit sein zu tragen.

Juristisch gibt es keine Probleme, der Einsatz ist legitimiert. Für Sie als Ethiker spielt das keine Rolle?

Durch die UN-Resolutionen ist der Einsatz juristisch abgesichert und auch die Übergangsregierung von Somalia stimmt der Mission zu. Doch was juristisch legal ist, muss nicht ethisch legitimiert sein. Aber wir reden hier über eine ethische Grauzone.

Soldaten der Bundeswehr kritisieren, dass die Mission Atalanta nicht nachhaltig sei. Würden Sie als Ethiker eher einem Einsatz zustimmen, der als Ziel hat, nicht nur die Piraten zu bekämpfen, sondern auch die Armut und den Staatszerfall in Somalia?

Schon eher. In der Bundeswehr wird intensiv über den langfristigen Erfolg der Mission diskutiert. Die Somalis haben nur sehr wenig von dem Einsatz. Der Frieden am Horn von Afrika wird so nicht gesichert.

Admirale der Bundeswehr betonen immer wieder, dass die Marine vor allem die Schiffe des Welternährungsprogramms schützt und die Eskorte von Containerschiffen, Frachtern und Tankern eine zweitrangige Aufgabe ist. Ist die Versorgung von Hungernden nicht ein hehres Ziel?

Sachstand der UN-Resolution ist, dass die Marine nicht nur Schiffe des Ernährungsprogramms schützen soll, sondern auch Handels- und Kreuzfahrtschiffe. Dass man die Hilfe für die Hungernden betont, um moralische Betroffenheit zu erzeugen, halte ich für unnötig. Aus ethischer Sicht ist auch der Schutz von Handelsschiffen völlig legitim. Die Frage ist nur, ob das Militär die richtige Instanz für den Schutz ist und ob man nicht andere Methoden findet.

Vertreter der Friedensbewegung lehnen den Einsatz vor Somalia ab. Sie kritisieren, dass die Marine nur wirtschaftliche Interessen schütze und den Somalis zu wenig geholfen werde.

Der Ethiker versucht stets, Pro- und Contra-Argumente abzuwägen. Den Somalis ist viel Unrecht geschehen, das ist wahr. Und dennoch ist dieser Punkt kein Argument, der gegen einen Militäreinsatz spricht. Erstens sind nicht alle Somalis Piraten geworden und zweites sind alle Seeräuber Verbrecher – und nur die werden bekämpft. Unrecht kann man nicht gegen Unrecht aufwiegen. Die Kritik, dass der Einsatz zu stark wirtschaftlichen Interessen dient, teile ich zum Teil. Die Reeder könnten mehr in die Sicherheit investieren, mehr Wachgänger aufstellen, schneller fahren, sich besser vernetzen und gegenseitig informieren und zudem Risikogebiete meiden.

Die Reeder sagen aber, dass eine Umfahrung des Krisengebietes sehr teuer sei und so die Preise für alle Kunden auf der ganzen Welt steigen würden und dass die Weltgemeinschaft nicht Verbrechern kampflos die Meere überlassen dürfe. Sie fordern ein härteres militärisches Vorgehen.

Dass die Preise steigen, ist aus Sicht des Ethikers kein Argument für einen Einsatz. Ich kann zwar die Reeder verstehen, sie stehen in einem globalen Wettbewerb, die Versicherungen werden für sie durch die Piraten teurer und natürlich vertreten sie ihre Interessen so stark, wie sie können. Doch den Einsatz von Militär rechtfertigt das nicht.

Die Fragen stellte Hauke Friederichs, ZEIT ONLINE

Dr. Volker Stümke arbeitet als Dozent für Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Er hat zudem einen Lehrauftrag an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal.

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