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Antrittsreden: Über den Tag hinaus

Der Anspruch ist gewaltig. In ihrer Antrittsrede sollen die US-Präsidenten den Ton für ihre Amtszeit vorgeben. Wie haben sich Barack Obamas Vorgänger geschlagen?

Die meisten Antrittsreden der bisherigen US-Präsidenten sind mittlerweile vergessen. Dabei gehören diese ersten Worte unmittelbar nach der Vereidigung zu den wichtigsten Ansprachen eines amerikanischen Präsidenten. Hier kann er die Richtung für seine Amtszeit vorgeben, kann Impulse setzen und seine zentrale Botschaft, seine Vision vorstellen. Gelingt das, werden ein oder mehrere Sätze auch noch Jahrzehnte später zitiert. Das ist naturgemäß besonders dann der Fall, wenn sie in einer Ausnahmesituation – etwa in Kriegszeiten oder während Wirtschaftskrisen – gesprochen werden. So bleiben Franklin D. Roosevelts Worte „Das einzige, was wir fürchten müssen, ist die Furcht selbst“, die er zu Beginn seiner ersten Amtszeit 1933 geäußert hatte, unvergessen. An ihnen wurde gemessen, wie Roosevelt gegen die Depression im eigenen Land (bei 25 Prozent Arbeitslosigkeit) und gegen Hitler-Deutschland vorging. Insofern stehen auch Barack Obamas Chancen gut, dass sich die Nachwelt an die Antrittsrede des 44. US-Präsidenten erinnern wird – angesichts einer Weltwirtschaftskrise enormen Ausmaßes.

Über die angemessene Dauer einer solchen Rede lässt sich nur soviel sagen: Sie sollte nicht zu lange sein. Das empfahl auch Theodore Sorensen, Redenschreiber von John F. Kennedy und mitverantwortlich für dessen so oft zitierte Antrittsrede. „Immerhin ist eine solche Ansprache auch für Menschen gedacht, die sich ansonsten nicht für Politik interessieren“, sagt Thilo von Trotha, Gründer der Akademie für Redenschreiben. So kam George Washington nach seiner Wiederwahl am 4. März 1793 mit ganzen 135 Worten aus. Allerdings ist von diesen eher unspektakulären Sätzen auch wenig im kollektiven Gedächtnis geblieben. Andere wie William Harrison drückten sich dagegen eher länglich aus. Dem neunten amerikanischen Präsidenten kommt die zweifelhafte Ehre zu, 1841 die bislang längste Antrittsrede gehalten zu haben: 8445 Worte und 105 Minuten hat er dafür gebraucht. Tragischerweise war seine Präsidentschaft aber die kürzeste: Nur einen Monat nach seiner Antrittsrede starb er an einer Lungenentzündung, die er sich durch seinen Marathon-Auftritt bei eisigen Temperaturen zugezogen hatte – der 68-Jährige hatte auf Mantel und Hut verzichtet. In der Regel dauert solch eine Ansprache indes nicht viel länger als 20 Minuten – was generell eine typische Länge für amerikanische Reden sei, wie von Trotha sagt. Gelungen gilt eine Rede, in welcher der Präsident seine politische Agenda in einem prägnanten Satz zusammenfasst, wie Ronald Reagan es 1981 mit seiner ökonomischen Botschaft tat: „Der Staat ist nicht die Lösung unseres Problems; der Staat ist das Problem.“

Lincoln gilt als unerreicht

Als unerreicht gilt Abraham Lincolns Rede bei seiner zweiten Amtseinführung: „Mit Groll gegen niemanden, mit Nächstenliebe für alle, verankert in der Gerechtigkeit, geleitet von Gott, müssen wir uns anstrengen, die begonnene Arbeit zu beenden, die Wunden unserer Nation zu heilen, für die zu sorgen, die die Schlacht geschlagen haben, für ihre Witwen und Waisen – wir sollten alles tun, um einen anhaltenden Frieden unter uns selbst und mit allen anderen Ländern zu erreichen.“ Lincoln sprach diese Sätze 1865, kurz vor Ende des Bürgerkrieges zwischen Nord und Süd und vor der Abschaffung der Sklaverei. Mit seiner Rede beschrieb er den Schmerz und den Verlust, den der Bürgerkrieg über sein Land gebracht hatte und gab den Weg vor, wie dies zu überwinden sei.

Fakt ist, dass die Antrittsreden amerikanischer Präsidenten in den meisten anderen Demokratien dieser Welt so niemals gehalten worden wären. „Da findet sich ungeheuerlich viel Pathos, das weicht deutlich von dem ab, was wir in Deutschland gewohnt sind“, sagt Rhetorikexperte von Trotha, der bis 1980 sechs Jahren lang für den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt getextet hat. So finden sich etwa in Bill Clintons zweiter Antrittsrede 1997 Sätze wie: „Der größte Fortschritt, denn wir erreicht haben, und der größte Fortschritt, den wir noch erreichen müssen, ist in den Herzen der Menschen.“ Vier Jahre zuvor erklärte er bei seiner ersten Amtseinführung: „Heute feiern wir das Mysterium der amerikanischen Erneuerung (...) Um Amerika zu erneuern, müssen wir kühn sein“, und die Überzeugung, dass „Amerikas lange heldenhafte Reise“ für immer andauern muss. Diese Idee des Wandels, der Erneuerung, wird immer wieder gerne aufgegriffen. So sagte Clinton auch: „Die Zeit ist reif dafür, mit der schlechten Angewohnheit zu brechen, etwas ohne Gegenleistung erhalten zu wollen, sowohl von unserer Regierung als auch von einander. Lasst uns alle mehr Verantwortung übernehmen, nicht nur für uns selbst und unsere Familien, sondern auch für unsere Gemeinschaft und unser Land.“ Bei George Bush Senior klang das 1989 so: „Ich verstehe Geschichte als ein Buch mit vielen Seiten, und jeden Tag füllen wir eine Seite mit Handlungen voller Hoffnung und Bedeutung. Der neue Wind weht, eine Seite wird umgeblättert, die Geschichte beginnt. Und so beginnt heute ein Kapitel, eine kleine und würdevolle Geschichte von Einheit, Verschiedenheit und Großzügigkeit – geteilt und gemeinsam aufgeschrieben.”

Fast alle beziehen sich auf Gott

Fast in jeder Antrittsrede finden sich zudem religiöse Bezüge und manchmal Bibel-Zitate – nur Theodore Roosevelt 1905 und Calvin Coolidge 1925 vermieden es, Gott in ihren Reden zum Amtsantritt zu erwähnen. Alle anderen hielten es wie George Washington, der 1789 damals noch in New York die allererste Antrittsrede in der Geschichte der USA mit einem Dank an jenes „allmächtige Wesen, welches über das Universum herrscht“ beschloss. John F. Kennedy etwa, der erste katholische Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, bekräftigte am 20. Januar 1961 den Glauben, „dass die Rechte des Menschen nicht vom Großmut des Staates herrühren, sondern aus der Hand Gottes“. Auch trug er einen Vers aus dem Buch des Propheten Jesaja vor. Und Ronald Reagan sagte 20 Jahre später: „Wir sind eine Nation, die von Gott beschützt wird, und ich glaube, dass Gott gewollt hat, dass wir frei sind.“ Auch Harry Truman, der Franklin D. Roosevelt nach dessen Tod am 12. April 1945 im Präsidentenamt nachfolgte, sagte nach seiner Wahl für eine weitere Amtsperiode am 20. Januar 1949: „Wir glauben, dass alle Menschen das Recht auf die Freiheit des Denkens und des Redens haben. Wir glauben, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, weil sie nach dem Bilde Gottes geschaffen sind.“ Und Dwight D. Eisenhower, erprobter Weltkriegsgeneral, sprach 1953 in seiner ersten Antrittsrede auf den Stufen des Kapitols: „Die Welt und wir haben mehr als ein halbes Jahrhundert fortgesetzter Herausforderungen erlebt. Wir spüren mit all unseren Sinnen, dass die Kräfte des Bösen und des Guten, geballt und bewaffnet, einander gegenüberstehen wie selten in der Geschichte zuvor. Zu diesem Augenblick in der Geschichte müssen wir, die wir frei sind, unseren Glauben aufs Neue bekennen. Dieser Glaube bestimmt unsere ganze Lebensauffassung. Er bekräftigt (...) die Geschenke des Schöpfers, die des Menschen unveräußerliche Rechte sind und alle Menschen vor ihm gleich machen.“

Wichtig für eine Antrittsrede ist zudem der Rückgriff auf amerikanische Traditionen. „Dabei ist es auch Usus, den ersten amerikanischen Präsidenten, George Washington, zu erwähnen“, sagt Redenschreiber von Trotha. (Genauso üblich sei es aber auch, dem jeweiligen Vorgänger zu danken – was nicht immer nur leicht fällt.) George W. Bushs zweite Antrittsrede im Jahr 2005 ist ein typisches Beispiel für die Erinnerung an die Ursprünge Amerikas, um aktuelle Politik zu begründen: „Seit dem Tag unserer Gründung haben wir verkündet, dass jeder Mensch auf dieser Welt Rechte, Würde und einen unvergleichbaren Wert hat, da er als Ebenbild des Schöpfers von Himmel und Erde geschaffen wurde. Über Generationen hinweg haben wir das Gebot der Selbstverwaltung verkündet, da niemand als Gebieter geschaffen wurde und niemand es verdient, Sklave zu sein. Das Vorantreiben dieser Ideale ist die Mission, die unsere Nation entstehen ließ. Das ist die ehrwürdige Errungenschaft unserer Väter. Heute ist das dringend erforderlich für die Sicherheit unseres Landes. Das ist der Ruf unserer Zeit.“

Blick in die Zukunft

Der Blick in die Zukunft sollte aber ebenso vorkommen wie der Rückgriff auf die Vergangenheit. So verkündete Richard Nixon 1969: „Indem wir uns die Horizonte des Weltraums erschlossen haben, haben wir neue Horizonte auf Erden entdeckt. Weil die Völker der Welt Frieden wünschen und die führenden Staatsmänner sich vor einem Kriege fürchten, ist die Zeit zum ersten Mal auf der Seite des Friedens (...) Die größte Ehre, die die Geschichte zu vergeben hat, ist der Titel Friedensstifter. Diese Ehre ist für Amerika jetzt in greifbare Nähe gerückt.“ Kennedy hatte acht Jahre zuvor gesagt: „In der langen Geschichte dieser Erde kam nur wenigen Generationen die Aufgabe zu, die Freiheit in der Stunde ihrer größten Bedrohung zu verteidigen. Ich schrecke vor dieser Verantwortung nicht zurück – ich heiße sie willkommen.“

Als George W. Bush nach seiner Wiederwahl sprach, kamen in seiner 21-minütigen Rede 27 Mal das Wort „Freedom“ und zudem 15 Mal der Begriff „Liberty“ vor – beides steht im Deutschen für Freiheit, einem der großen Gründungsmythen Amerikas. Vier Jahre nach den Terroranschlägen des 11. Septembers diente dies auch der Rechtfertigung seiner Außenpolitik, der Kriege in Afghanistan und dem Irak, die er indes mit keinem Wort direkt erwähnte. Aber bereits vier Jahre zuvor – und vor den Anschlägen – hatte er diese Politik vorgegeben: „Fast immer im letzten Jahrhundert war Amerikas Glaube an Freiheit und Demokratie ein Fels in der wütenden See. Nun ist er ein Samenkorn imWind, das in vielen Ländern Wurzeln schlägt. Unser demokratischer Glaube ist mehr als das Glaubensbekenntnis unserer Nation. Es ist die angeborene Hoffnung der Menschheit, ein Ideal, auf das wir setzen, das wir aber nicht besitzen, eine Verantwortung, die wir tragen und weitergeben.“ Ganz ähnlich klang das auch bei Kennedy, der seinen Wahlerfolg wie folgt deutete: „Wir beobachten heute nicht den Sieg einer Partei, sondern ein Fest der Freiheit.“

Juliane Schäuble

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