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Mit Mumien und Altertümern wird auch Politik gemacht.

© dpa

Archäologie und Politik: Show mit Pharao

Am Freitag wollte Ägypten das Geheimnis um Nofretete lüften. Fehlanzeige. Es kann Jahre dauern. Mit Mumien und Altertümern wird seit jeher Politik gemacht. Bis heute. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Rüdiger Schaper

Ägypten hält die Welt in Atem. Nur ist es diesmal kein Terror, auch kein unerwarteter arabischer Frühlingsbeginn. Es grüßt Nofretete. Eine massive Sensation steht bevor, ein Wahnsinnsrummel, sollte es sich bestätigen, dass die Forscher in Luxor nur eine Handbreit entfernt sind vom Grab der Königin.

Nofretetes Abbild auf der Berliner Museumsinsel ist ein Heiligtum, und es weckt, wie jede nahezu vollkommene Schönheit, eine unstillbare Sehnsucht nach mehr Glanz. Ist es möglich? Hundert Jahre nach der Entdeckung der berühmtesten Büste der Welt könnte der Leichnam der Nofretete aus dem Dunkel einer verschlossenen Grabkammer im Tal der Könige auftauchen. Ein Märchen.

Das sind natürlich Spekulationen, wenn auch nicht vollkommen aus der heißen Luft Ägyptens gegriffen. Archäologen arbeiten mit High-Tech-Gerät im Grab des Pharaos Tutanchamun. Sie vermuten Hohlräume hinter den Wänden, weitere königliche Grabkammern mit möglicherweise unvorstellbaren Goldschätzen. Ägypten war ja tatsächlich ein Eldorado der Europäer – das sich in Lateinamerika so nie realisierte.

Am Freitag wollten die Ägypter das Geheimnis lüften. Fehlanzeige! Neue Radarmessungen sind in Vorbereitung. Es kann Wochen dauern, Monate und Jahre, bis sich herausstellt, ob Tutanchamuns mutmaßliche Stiefmutter dort begraben liegt, wo man es sich erhofft – oder vielleicht jemand anderes. Ob da überhaupt etwas ist. Die Welt muss warten.

Assad lässt sich als Retter von Palmyra feiern

Mit Mumien wird Politik gemacht. Lenins Leichnam wurde einbalsamiert, auch Mao hat sein Mausoleum bekommen, mit Kristallsarg. Totenkult, ob kommunistisch oder pharaonisch, stellt eine Machtdemonstration dar, wie die Pyramiden der Ägypter und der Maya. Die unglaublichen Bauwerke berühren den Himmel, bergen Rätsel, der Mensch fühlt sich davor winzig und erhaben zugleich. Ein Bestseller über die Archäologie hieß „Götter, Gräber und Gelehrte“. Stoff für Mythen, Nahrung der Fantasie, schöne Illusion. Was 3000 Jahre überdauert, relativiert unser Bewusstsein von Vergänglichkeit. Vergangenheit gibt Halt, sie lässt sich biegen – und missbrauchen.

Die Pharao-Show, die sich dieser Tage in Ägypten abspielt, hat auch einen ökonomischen Hintergrund. Antikenminister Khaled al Enani legt Wert auf „wissenschaftliche Glaubwürdigkeit“, dies erfordere eben Geduld. Aber das Warten auf den Fund des Jahrhunderts garantiert höchste Aufmerksamkeit. Die Touristen bleiben aus Furcht vor Anschlägen weg. Da kann sich Ägyptens Regime kultiviert zeigen. Altertümer schaffen Vertrauen.

Baschar al Assad weiß, wie es funktioniert. Syriens Diktator lässt sein Volk abschlachten, pulverisiert mit Bomben die Altstadt in Aleppo, gilt aber nun als Retter von Palmyra. Saddam Hussein hatte die Rekonstruktion Babylons befohlen, jeder Ziegelstein trägt seinen Namen. Sie haben von den Europäern gelernt. Deutsche Archäologen des Kaiserreichs gruben Babylon aus, ein Engländer fand Tutanchamun. Kolonialismus und Imperialismus bereiteten der Archäologie den Boden, in dem die Schätze ruhten, die heute in Berlin, Paris, London und New York die Museen schmücken. Ewiger Kreislauf: IS-Terroristen zerstören antike Werke und finanzieren sich mit Raubgrabungen, der Westen diskutiert den Wiederaufbau in Palmyra. Das Alte hat einen besonderen Marktwert, wenn die Welt in globaler Gegenwart versinkt.

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