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Asylpolitik: Das Ziel vor Augen

Die EU-Staaten streiten umeinen gemeinsamen Kurs in der Asylpolitik. Jetzt möchte die Kommission wenigstens Anreize für die Aufnahme besonders verfolgter Flüchtlinge bieten. Was bringt das?

Nicht jeder ist in der Europäischen Union willkommen. Viele Flüchtlinge, die sich Woche für Woche auf eine oft lebensgefährliche Reise über das Mittelmeer machen, prallen an der EU ab, als wäre sie von einer unsichtbaren Mauer umgeben. Diese Erfahrung mussten am vergangenen Sonntag 75 Bootsflüchtlinge – unter ihnen auch 15 Frauen und drei Minderjährige – machen, die von der italienischen Küstenwache vor Sizilien aufgegriffen wurden. Einer der Flüchtlinge wurde immerhin wegen eines Rippenbruchs in einem Krankenhaus auf Sizilien behandelt. Der Rest der Besatzung aus dem Flüchtlingsboot, darunter hauptsächlich Somalier, wurde unverzüglich nach Libyen zurückgebracht.

Italiens Regierung lässt keinen Zweifel daran, dass sie auch in Zukunft im Umgang mit illegalen Flüchtlingen kein Pardon kennt. „Bis jetzt hat uns Europa allein gelassen“, beklagte am Mittwoch der für EU-Fragen zuständige römische Minister Andrea Ronchi in der Zeitung „Il Corriere della Sera“ die Weigerung der EU, bei der Aufnahme von Flüchtlingen mehr Solidarität mit Italien zu zeigen. Ronchi sagte, in der EU gebe es einen weit verbreiteten Egoismus – zahlreiche Länder fühlten sich vom Flüchtlingsproblem nicht betroffen.

Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi hatte zuvor den Streit mit dem Rest der EU auf seine Weise eskalieren lassen; er nahm die Brüsseler Kommission aufs Korn. Am Rande der Danziger Gedenkfeiern zum Zweiten Weltkrieg drohte er, EU-Entscheidungen zu blockieren, wenn Brüsseler Kommissars-Sprecher weiterhin mit Äußerungen an die Öffentlichkeit gehen, die ihm nicht in den Kram passen. Brüssel verlangt von Rom, den Zwischenfall vor der Küste Siziliens vom Wochenende aufzuklären. Einen Maulkorb will sich die Kommission von Berlusconi aber keinesfalls umhängen lassen, stellte deren Sprecher Johannes Laitenberger klar. Berlusconis Forderung, dass sich Kommissare mit ihren Äußerungen in der Öffentlichkeit zurückhalten sollten, kommentierte er mit den Worten: „Manchmal kochen die Emotionen eben hoch.“

Der Hintergrund des Streits zwischen Italiens Regierungschef und Brüssel: Die Regierung in Rom steht im In- und Ausland in der Kritik, seit Berlusconi Flüchtlinge direkt nach Libyen abschieben lässt. Schätzungen zufolge hat Italien seit Anfang Mai rund 1000 Flüchtlinge dank eines Sonderabkommens mit Tripolis in den Wüstenstaat zurückbefördert. Das UN-Flüchlingskommissariat UNHCR moniert allerdings, dass die Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention in den libyschen Aufnahmelagern kaum beachtet würden.

Italien lässt derartige Kritik nicht gelten. Die Regierung in Rom verlangt vielmehr von der EU ein verbindliches Quotensystem, das die übrigen Mitgliedstaaten verpflichten würde, einen festgelegten Anteil der Flüchtlinge aufzunehmen. Doch bislang ist dieser Vorschlag in zahlreichen europäischen Mitgliedstaaten – vor allem in Deutschland, Großbritannien und Österreich – auf taube Ohren gestoßen. Als sich die EU-Innenminister Anfang Juni mit dem Problem befassten, gab es keinen Konsens für ein verbindliches Quotensystem. Entlastung soll es aber für das EU-Mitglied Malta geben: Nach einem Pilotprojekt sollen 2000 Flüchtlinge, die zunächst dort untergekommen sind, demnächst in anderen EU-Staaten aufgenommen werden. Und auch die Frage, inwieweit das Asylsystem in der EU harmonisiert werden kann, bleibt auf der Tagesordnung: Anfang Oktober will die EU-Kommission ihre Vorschläge vorlegen.

Neben den Migranten, die heimlich den Weg übers Wasser Richtung Europa suchen, gibt es solche, die aus ihrem Land geflüchtet sind und fürs Erste in Nachbarstaaten Zuflucht gefunden haben. Dies sind beispielsweise Iraker in Syrien und Jordanien, Somalier in Kenia oder Flüchtlinge aus Bhutan in Nepal. Für viele von ihnen gibt es allerdings kein Zurück mehr in die Heimat. Nach dem „Resettlement“-Verfahren des UNHCR erhalten sie eine endgültige zweite Heimat woanders in der Welt, vor allem in den USA, Kanada und Australien. Bei der Aufnahme solcher Flüchtlinge – oftmals Folteropfer, Angehörige von Minderheiten oder alleinstehende Frauen mit Kindern – tun sich die EU-Länder bislang schwer. Von den weltweit 66 000 Menschen, die 2008 im Rahmen dieses Programms umgesiedelt wurden, gelangten gerade einmal 4400 in die EU.

Damit sich dies ändert und auch der Flüchtlingsdruck an den Mittelmeerküsten nachlässt, schlug EU-Innenkommissar Jacques Barrot am Mittwoch in Brüssel eine Strategie vor, die den EU-Staaten die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus dem Neuansiedlungs-Verfahren der UN schmackhaft machen soll. Derzeit beteiligen sich zehn EU-Staaten an dem Programm. Den Ländern, die sich künftig zur Neuansiedlung von Flüchtlingen bereit erklären, winken nun größere finanzielle Anreize. So sollen sie 4000 Euro pro aufgenommenem Flüchtling aus dem EU-Budget erhalten. Zwar möchte die Kommission „Jahresziele“ bei der Aufnahme von Flüchtlingen ausgeben, die besonders verfolgt werden; dennoch sollen die Mitgliedstaaten auch künftig eigenständig darüber entscheiden können.

Auch Deutschland, wo bereits 2500 verfolgte Iraker aufgenommen wurden, ist am „Resettlement“-Verfahren beteiligt. „Wir würden es begrüßen, wenn Deutschland in Zukunft ein jährliches Aufnahmeprogramm beschließt“, sagte Stefan Telöken, Sprecher der UNHCR- Vertretung für Deutschland und Österreich. Gleichzeitig versuchte er aber, Ängsten vor einem massiven Zustrom zu begegnen: Niemand erwarte, dass Millionen von Flüchtlingen im Rahmen des „Resettlement“-Verfahrens woanders eine Bleibe finden werden. Das UN-Flüchtlingskommissariat geht davon aus, dass im nächsten Jahr 203 000 Flüchtlinge neu angesiedelt werden müssen. Ein kleiner Beitrag zur Linderung der Not – angesichts von rund zehn Millionen Flüchtlingen auf der ganzen Welt.

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