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Politik: Atom - Vom Konsens zum Vertrag: "Der Ausstieg ist eine historische Weichenstellung" - Jürgen Trittin im Interview

Jürgen Trittin (46) ist Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Als eine seiner ersten Amtshandlungen kündigte er vor fast drei Jahren den Ausstieg aus der Atomkraft an, scheiterte aber zunächst, weil er für eine sofortige Abschaltung plädierte.

Jürgen Trittin (46) ist Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Als eine seiner ersten Amtshandlungen kündigte er vor fast drei Jahren den Ausstieg aus der Atomkraft an, scheiterte aber zunächst, weil er für eine sofortige Abschaltung plädierte. Eigentlich wollte er die unsichere Alttechnologie sofort beenden, aber dafür waren die Widerstände in der Stromindustrie und der SPD zu groß.Im Juli kann Trittin sein Verhandlungsgeschick erneut beweisen: Er muss einen internationalen Konsens über die Klimapolitik herstellen.

Herr Trittin, Sie unterzeichnen heute den Atomkonsens. Ist das der schönste Tag in Ihrer Amtszeit?

Auf jeden Fall eine wichtige Wegmarke. Nach dem Klimaschutzprogramm und dem neuen Naturschutzgesetz bringen wir das dritte große Umweltprojekt dieser Wahlperiode unter Dach und Fach. Der Atomausstieg komplettiert die Energiewende, die wir mit der Förderung der erneuerbaren Energien eingeleitet haben.

Das klingt uns aber sehr nach Understatement. Der Atomausstieg ist ein weltweit einmaliges Projekt ...

Es ist in der Tat eine historische Weichenstellung. International wird das besonders beachtet, weil Deutschland ein umfassendes ökologisches Kontrastprogramm zu Vorstellungen in anderen Ländern bietet. Es geht ja nicht nur um irgendeine Beendigung irgendeiner Technologie, sondern darum, dass wir mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, der Steigerung der Energieeffizienz und verstärktem Energiesparen eine zukunftsfähige Alternative schaffen. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem in den USA die Betriebserlaubnis von Atomkraftwerken auf 60 Jahre verlängert wird. Es ist eines der großen Verdienste der Grünen in der Regierung, dass Deutschland führend für diese europäische Alternative steht.

Aber was garantiert Ihnen, dass dieses Vorhaben mehr als eine Episode bleibt? Aus der Wirtschaft ist immer wieder zu hören, kein Ausstieg sei unumkehrbar.

Wo sind denn die Investoren dafür? Selbst Union und FDP haben zu ihrer Regierungszeit keine gefunden. Seit 20 Jahren ist in Deutschland kein neues Atomkraftwerk mehr gebaut oder beantragt worden. Natürlich hat das auch ökonomische Gründe. Warum sollten Unternehmen in eine Technik investieren, die ihnen frühestens nach 15 Jahren Rendite verspricht, während sich Investitionen in moderne Gaskraftwerke nach drei, vier oder fünf Jahren rentieren?

CDU, CSU und FDP wollen die alten AKW unbegrenzt weiterlaufen lassen, wenn sie wieder an die Regierung kommen.

Ja, wenn das Wörtchen wenn nicht wäre. Wer sich an alten Technologien klammert, versäumt fällige Investitionen in neue Technologien. Ich habe meine Zweifel, ob das ein überzeugendes Programm ist. Atomausstieg und Energiewende lösen einen Schub neuer Arbeitsplätze aus. Allein der Ausbau der erneuerbaren Energien hat bis jetzt 70 000 neue Jobs gebracht. Wenn CDU, CSU und FDP den Atomausstieg rückgängig machen wollen, dann heißt das nichts anderes als dass sie Arbeitsplätze vernichten wollen.

Sie haben den Atomkonsens in den Kontext von Klimaschutz und Energiewende gestellt. Sehen Sie Chancen auf eine Einigung beim Klima-Gipfel in Bonn?

Ich sehe nach wie vor die Chance, dass wir in Bonn eine Einigung hinkriegen, wenn niemand eine Blockadehaltung einnimmt, wofür ich noch kein Anzeichen sehe. Ich glaube, dass am Ende ein Text stehen könnte, der ratifizierbar ist für mehr als die notwendigen 55 Staaten. Dann könnte im nächsten Jahr das Klimaprotokoll in Kraft treten.

Werden Sie die Vereinbarung auch ohne die USA verabschieden?

Ich strebe das nicht an, im Gegenteil, wir sind nach wie vor bemüht, die Amerikaner mit ins Boot zu holen. Die USA waren 1990 für 25 Prozent der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich. Wenn der größte Emittent nicht dabei sein will, ist dies das größte anzunehmende Schlupfloch des Kyoto-Protokolls. Dennoch: Vor die Wahl gestellt, entweder ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen mit einem solchen Schlupfloch oder gar keines zu bekommen, würde ich mich für das geringere Übel entscheiden. Das ist immer noch besser, als auf den Stand Anfang der neunziger Jahre zurückzufallen, als es nur die Klimarahmenkonvention von Rio gab. Die beruht nur auf Freiwilligkeit.

Genau das will US-Präsident Bush aber weiterführen.

Ich nehme sehr ernst, was die US-Administration mir gesagt hat: dass sie sich weiterhin zu den Verpflichtungen aus der Klimarahmenkonvention bekennt. Wir erwarten aber, dass sie diesem Bekenntnis Taten folgen lässt und ernste Schritte unternimmt, um den CO2-Ausstoß bei sich zu Hause zu reduzieren.

Wir haben jetzt noch ein Jahr bis zur Bundestagswahl. Glauben Sie, dass die Umweltpolitik 2002 noch ein weiteres Mal ein grüner Wahlkampf-Schlager wird?

Wir werden uns gar nicht groß anstrengen müssen, das Thema Ökologie in den Mittelpunkt zu stellen, obwohl wir natürlich unsere umweltpolitischen Leistungen selbstbewusst darstellen werden. Es wird ja im Wahlkampf in Wahrheit nicht um Merkel oder Stoiber gegen Schröder gehen. Sondern darum, wer der Mitte, für die der Kanzler steht, eine Richtung gibt. Wird das eine Richtung der ökologischen Modernisierung, sprich ein Mitte-Links-Bündnis mit den Grünen? Oder wird es eine neoliberale andere Form sein, also mit der FDP? Union und FDP werden natürlich einen anti-grünen und damit anti-ökologischen Wahlkampf führen. Mit anderen Worten: Wer den Prozess der ökologischen Erneuerung der Bundesrepublik fortsetzen will, muss grün wählen.

Und Sie haben keine Sorge, dass die FDP die Grünen verdrängt?

Bei unseren Wählerinnen und Wählern gibt es für die FDP nichts zu holen. Umgekehrt können wir, anders als es einige bei uns immer geglaubt haben, bei der FDP nichts holen. Die FDP wird versuchen, frustrierte CDU-Wähler an sich zu ziehen. Aber für die Frage, ob Deutschland weiterhin rot-grün regiert wird oder von einer großen Koalition oder von der SPD mit anderen Partnern, spielt das Kräfteverhältnis zwischen FDP und Grünen keine Rolle. Wenn die Grünen stark genug sind, um mit der SPD eine Mehrheit zu bilden, dann wird - da bin ich sicher - die jetzige Koalition fortgesetzt. Nicht aus Altruismus oder Freundschaft, sondern aus dem wohlverstandenen eigenen Interesse der beiden Koalitionspartner.

Herr Trittin[Sie unterzeichnen heute den Atomkons]

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