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Politik: Atomkraft: Tschechiens Ministerpräsident im Interview: "Ein Terrorangriff ist kein Argument gegen das AKW Temelin"

Milos Zeman (57) ist seit Mitte 1998 Ministerpräsident der Tschechischen Republik. Bis Anfang April diesen Jahres war er zudem Parteichef der sozialdemokratischen Partei CSSD.

Milos Zeman (57) ist seit Mitte 1998 Ministerpräsident der Tschechischen Republik. Bis Anfang April diesen Jahres war er zudem Parteichef der sozialdemokratischen Partei CSSD.

Herr Ministerpräsident, seit den Terrorangriffen auf die USA am 11. September gelten selbst westliche AKW mit ihrem doppelten Schutzmantel als nicht mehr sicher. Gibt es jetzt neue Überlegungen in Prag über die Zukunft des umstrittenen AKW Temelin?

Nein, aus zwei Gründen. Erstens: Genau so ein AKW wie in Temelin gibt es im nordfinnischen Koivisto, und es läuft störungsfrei seit zehn Jahren. Ich habe nicht gehört, dass Finnland eine Schließung in Betracht ziehen würde. Zweitens: Alle Gutachten von Experten weisen nach, dass Temelin genauso sicher, wenn nicht noch sicherer ist, als zum Beispiel alle AKW in Frankreich oder Bayern. Deren Schließung fordert auch niemand.

Es gibt aber große Bedenken gegen Temelin bei den Nachbarn.

Ich akzeptiere eine ernsthafte Diskussion über Energie- und Ökologiefragen. Ich hielte es aber für ein perfides Verhalten, den Terrorangriff vom 11. September als ein Argument gegen das AKW Temelin zu missbrauchen - zusätzlich noch zu jenen Argumenten, die fanatische Umweltschutz-Aktivisten in Österreich schon lange Zeit vor dem Terrorangriff formuliert hatten.

Es waren auch Politiker, die Einwände vorgetragen haben, zum Beispiel Bundesumweltminister Jürgen Trittin.

Ich sprach bisher nur von österreichischen fanatischen Umweltschutz-Aktivisten, aber erlauben Sie mir, dass ich mich nach Ihrem Einwand korrigiere und sage, dass ich einfach von fanatischen Umweltschutz-Aktivisten spreche. Außerdem möchte ich noch ergänzen: Es waren nicht nur fanatische Umweltschutz-Aktivisten, die gegen Temelin protestierten. Es war auch ein ausgewiesener Experte für Atomenergie- und Ökologie-Fragen, der Jörg Haider heißt.

Aber AKW-Sicherheit ist doch ein Problem, das alle angeht und über die alle auch entscheiden müssten.

Die Tschechische Republik legte einen wesentlichen Teil dieser Entscheidungen in die Hände der EU. Wir respektieren voll und ganz die Schlussfolgerungen der EU-Kommission. Ich hoffe nur, dass auch Österreich diese respektieren wird. Wenn angesichts der neuen Sicherheitslage alle AKW in Europa nicht geschlossen werden, sehe ich kein neues Argument gegen Temelin. Wenn es aber unter dem Sicherheitsaspekt zu so einer Totalschließung kommen sollte, dann müsste man mit der gleichen Logik auch alle Staudämme niederreißen und alle Hochhäuser beseitigen, weil auch diese Ziel eines Terroristen-Angriffs sein könnten.

Ein Angriff auf ein AKW hätte aber unvergleichbar schlimmere Folgen.

Sie irren. Sie gehen davon aus, dass in Temelin Reaktorblöcke des Tschernobyl-Typs eingebaut sind. Dies ist genau der Irrtum der österreichischen und anderen Aktivisten. Es geht um einen anderen Reaktortyp, und daher könnte dort nicht das passieren, was in Tschernobyl geschah. Ich bezweifle nicht, dass ein Terrorangriff auf Temelin Folgen hätte. Doch diese beträfen vor allem das AKW selbst, nämlich, dass Temelin dann nicht mehr funktionieren würde.

Alle Nato-Staaten bereiten jetzt neue Sicherheitsmaßnahmen vor. Wie geht das Nato-Mitglied Tschechien damit um?

Nach Gesprächen mit Bundeskanzler Schröder am Freitag habe ich mein volles Verständnis für die neuen Sicherheitsbestimmungen zum Ausdruck gebracht, die im Bundestag vorbereitet werden. Ich nannte sie auch eine Anregung für die Tschechische Republik. Alles, was Menschenleben schützt, halte ich für vernünftig.

Und die Einschränkung von Bürgerrechten?

Wenn wir diese Sorge sozusagen ad absurdum führen würden, müssten wir auch die Kompetenzen der Polizei oder der Sicherheitsdienste begrenzen, weil diese ohnehin eine Beschränkung bestimmter Freiheiten darstellen. Wenn es also um Beschränkungen von Freiheiten geht, dann doch nur der Freiheiten der Terroristen.

Wie will Tschechien die neuen Sicherheitsmaßnahmen bezahlen?

Unser Verteidigungsminister hat zum Beispiel eingeräumt, dass nicht alle Vorhaben seines Ressorts zwingend umgesetzt werden müssen. Konkret kann ich als ein Beispiel das teuere Projekt für eine Modernisierung unserer Panzer T 72 nennen, die noch aus der Sowjetproduktion stammen.

Sie haben im Sommer erklärt, dass Ihre sozialdemokratische Regierung Tschechien an die Schwelle der EU bringen wolle. Erreichen Sie Ihr Ziel bis zu den nächsten Wahlen im kommenden Jahr angesichts der aktuellen Lage etwa im Sicherheitsbereich?

Vor dem Terrorismus-Problem stehen nicht nur die EU-Kandidaten, sondern auch alle bisherigen Mitglieder. Die Bewältigung einzelner Verhandlungskapitel ist eine Aufgabe für alle Länder. Das heißt, wir müssen jetzt die gegenwärtigen EU-Standards erfüllen. Später, als EU-Land, wollen wir uns im Bedarfsfall möglicherweise dann weiter erhöhten Sicherheitskriterien anpassen. Ohnehin sind wir uns mit der Bundesregierung absolut einig, dass wir etwa das EU-Verhandlungskapitel Energie rasch abschließen können.

Kam Temelin zur Sprache?

Es hat sich wieder gezeigt, dass Temelin - und der Bundeskanzler hat es ausdrücklich betont - kein Hindernis für unseren Beitritt ist. Außerdem hat sich bei unseren Berliner Gesprächen herausgestellt, dass wir kurz vor einer Lösung des Kapitels über die Freizügigkeit für unsere Arbeitskräfte in der EU stehen. Somit glaube ich, dass mein Versprechen, im ersten Halbjahr 2002 alle Verhandlungskapitel mit der EU abzuschließen und unsere Republik so an die Schwelle der Union zu führen, immer noch realistisch ist.

Herr Ministerpräsident[seit den Terrorangrif]

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