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Atomkraftgegner setzen bei der Blockade des Castor-Transports im Wendland auch auf "tierische Unterstützung". Mehrere hundert Schafe und Ziegen waren am Montagnachmittag zwischen Laase und Gorleben auf der nördlichen der beiden möglichen Transportrouten des Castor-Konvois unterwegs.

© Reuters

Update

Atommülltransport nach Gorleben: Castor-Straßenstrecken werden blockiert

Nach stundenlangen Blockaden ist der Castortransport in Dannenberg angekommen. Dort wird der Atommüll für den Straßentransport umgeladen. Zeitweilig befanden sich Hunderte Schafe auf der Castor-Straßenstrecke.

Außer Hunderten von Demonstranten haben sich am Montag auch ganze Herden von Schafen und Ziegen an den Blockaden der Castor-Transportstrecke bei Gorleben beteiligt. Am Nachmittag seien rund 2000 Schafe sowie 50 Ziegen auf die Landstraße zwischen Gorleben und Laase gelangt, berichtete eine Sprecherin der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg.

"Die Tiere wollten auch ein bisschen mitmachen", erklärte sie mit Blick auf die Sitzblockaden, zu denen sich am Montag hunderte Atomkraftgegner versammelten. Auf dem Weg in das Atommüll-Zwischenlager Gorleben muss der Castor-Transport mit hochradioaktivem Abfall die letzten rund 20 Kilometer von der Umladestation in Dannenberg mit Lastwagen auf der Straße zurücklegen. Dafür gibt es zwei mögliche Strecken. Atomkraftgegner hatten angekündigt, die Anlieferung der elf Behälter mit ihrer strahlenden Fracht mit "kreativen Hindernissen" zu stoppen.

Nach Angaben der Anti-Castor-Protestbewegung X-tausendmalquer blockierten am Montagabend rund 3400 Menschen die Straße auf einem halben Kilometer Länge. Ein Sprecher der Gruppe forderte die Polizei auf, sich bei einer möglichen Räumung an „Recht und Gesetz“ zu halten. In Dannenberg versuchten Atomkraftgegner, den Castor-Transport auf seinem Weg ins Zwischenlager Gorleben mit einem auf der Straße befestigten Lkw zu stoppen. Mitglieder der Umweltschutzorganisation Greenpeace fixierten den Laster mit Stahlröhren vor der Umladestation am Bahnhof Dannenberg, wie die Gruppe mitteilte.

Mehr als sieben Stunden nach dem Eintreffen des Castor-Transports in der Umladestation Dannenberg sind am Montag die Castoren auf Lastwagen verladen worden. Damit ist absehbar, dass der Konvoi gegen Mitternacht startbereit sein könnte. Erwartet wird aber, dass die Polizei zunächst die rund 20 Straßenkilometer zum Gorlebener Zwischenlager komplett räumt, ehe die elf Lastwagen sich mit dem hoch radioaktiven Müll auf den Weg machen.

Der Zug mit 123 Tonnen Atommüll war Freitag gegen 14 Uhr im nordfranzösischen Valognes gestartet. Die elf Castor-Behälter enthält hochradioaktiven Abfall aus der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente aus deutschen Reaktoren. Seine Fahrt durch Deutschland wurde immer wieder durch Blockaden von Atomkraftgegnern verzögert. Allein auf der Schiene war er gut 67 Stunden unterwegs - deutlich länger als frühere Castor-Transporte. Am Wochenende hatte es zudem Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Polizei gegeben.

Polizisten am Ende ihrer Kräfte

Der Castortransport mit Atommüll war bis Montagfrüh von Blockierern lahm gelegt worden. Der Zug wurde daraufhin im wendländischen Dahlenburg mit Stacheldraht eingezäunt, sagte der Vorsitzende der Deutschen Polizei-Gewerkschaft, Rainer Wendt. Die Polizisten seien nach dem 24-Stunden-Einsatz am Ende ihrer Kräfte hieß es bei Polizeigewerkschaftern. Zum Teil sei der Nachschub blockiert gewesen, Polizisten hätten nichts zu essen bekommen.

Blockade auf den Gleisen

In Dannenberg werden die elf Atommüllbehälter nun von Eisenbahnwaggons auf Straßentieflader umgesetzt. Nach Angaben des Zwischenlager-Betreibers Brennelementlager Gorleben (BLG) sind dafür etwa 15 Stunden vorgesehen. Voraussichtlich ab Montagabend sollen die Spezialcontainer auf der Straße ins Zwischenlager Gorleben rollen.

Nach der Räumung der letzten Schienen-Blockade konzentrieren sich die Castor-Gegner nun auf die am Sonntag begonnene Sitzblockade auf der Straße vor dem Zwischenlager. Die Sprecherin der gewaltfreien Aktion "x-tausendmalquer", Luisie Neumann-Cosel, sagte am Morgen, nach wie vor seien mehr als 1600 Menschen auf der Straße. Die kalte, aber trockene Nacht sei ruhig gewesen. Es gebe ausreichend Strohsäcke, Isomatten sowie warmes Essen und Getränke.

Die größte Verzögerung erreichten rund 3000 Castorgegner, die in der Nacht zum Montag bei Harlingen nahe Hitzacker die Gleise blockierten. Die Polizei trug die Menschen schließlich ab 1.40 Uhr von den Gleisen. Ein Sprecher der Einsatzleitung in Lüneburg nannte die Aktion friedlich. Die Bürgerinitiative "x-tausendmal quer" bescheinigte auch den Beamten ein "verhältnismäßig friedliches" Vorgehen. Nach der Räumung nahm die Polizei etwa 1000 Demonstranten vorübergehend in Gewahrsam, ließ sie aber am Vormittag wieder frei.

Bürgerinitiative zufrieden

Der Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke, zog eine positive Bilanz der Proteste. Es sei deutlich geworden, dass der Widerstand gegen Atomkraft und den Endlagerstandort Gorleben in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei. Die Aktionen der Castor-Gegner seien größtenteils friedlich gewesen. Dazu zählte er auch die sogenannten Schotterer, die mehrfach versucht hatten, das Gleisbett zu unterhöhlen.

Die Bundesregierung sieht dies ganz anders. Am Wochenende hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel gerade auch das Schottern kritisiert. Darüber hinaus hatte es zum Teil gewalttätige Aktionen gegen Polizeibeamte und -fahrzeuge gegeben; die Beamten setzten Wasserwerfer, Tränengas und Schlagstöcke ein.

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Umweltministerium, Katharina Reiche (CDU), griff in dem Zusammenhang Spitzenpolitiker von Grünen und SPD an: "Wenn Trittin, wenn Frau Künast und Frau Roth aber auch Sigmar Gabriel zu Massendemonstrationen aufrufen, wenn wir die größte Gewalteskalation seit viele Jahren erleben, dann muss auch gezeigt werden, wer dafür verantwortlich ist."

Grünen-Chefin Claudia Roth erklärte dagegen, die Grünen hätten nicht zum Schottern aufgerufen. Insgesamt verteidigte sie die Proteste und führte sie auf die Verlängerung der Atomlaufzeiten durch die schwarz-gelbe Koalition zurück. Roth hatte sich selbst an einer Sitzblockade in Gorleben beteiligt. Im Bundestag beantragten die Grünen eine Aktuelle Stunde zur Atompolitik in dieser Woche.

Angeblich 1.000 Verletzte bei "Castor schottern"

Bei der Aktion "Castor schottern" wurden am Sonntag im Wendland nach Angaben der Organisatoren rund 1.000 Demonstranten verletztn. 950 Aktivisten hätten Augenverletzungen durch Pfefferspray, Tränen- und CS-Gas erlitten, sagte der Sprecher der Initiative "Castor schottern", Christoph Kleine, am Montag in Dannenberg. Zudem seien bei den Demonstranten 16 Brüche, 29 Kopfplatzwunden und drei Gehirnerschütterungen registriert worden. Zwei Atomkraftgegner hätten im Krankenhaus behandelt werden müssen.

Die Polizei hatte am Sonntag den Versuch mehrerer tausend Menschen unterbunden, Schottersteine aus dem Gleisbett der Castorstrecke zu räumen. Dabei war es vor allem rund um den Bahnhof Leitstade zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Polizei und Castorgegner warfen sich gegenseitig vor, die Gewalttaten begonnen zu haben. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg ermittelt gegen etwa 1.700 Unterstützer von "Castor schottern" wegen des Aufrufs zu Straftaten.

Weiter Streit um Kosten

Gleichzeitig ging der Streit über die Kosten des Polizeieinsatzes weiter. Nach Klagen aus Niedersachsen, dass das Land auf 20 bis 25 Millionen Euro sitzen bleibe, deutete Reiche Kompromissbereitschaft an. Über die Aufteilung der Kosten zwischen Bund und Länder müsse geredet werden, sagte die CDU-Politikerin. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann meldete sich am Montagmorgen zu Wort und lehnte Änderungen bei der Kostenverteilung für Polizei-Großeinsätze wie den Castortransport ab. Der CSU-Politiker sagte im Deutschlandfunk zu einer entsprechenden Forderung des niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister (CDU), es gebe die bundesweit einheitliche Regel, dass sich die Bundesländer Polizeieinsätze gegenseitig in Rechnung stellten. Über die Jahre betrachtet würden sich die Kosten ausgleichen. Für die Polizeieinsätze sei das jeweilige Land zuständig, erklärte Herrmann.

McAllister hatte am Wochenende darauf verwiesen, dass Niedersachsen mit der Sicherung des Transports eine Aufgabe für die gesamte Nation erfülle. Er bezifferte die zusätzlichen Polizeieinsatzkosten auf 20 bis 25 Millionen Euro. Im Kreis der 16 Bundesländer gebe es aber wenig Solidarität. Nach Schätzung der Deutschen Polizeigewerkschaft könnte der diesjährige Castor-Einsatz für den Steuerzahler sogar bis zu 50 Millionen Euro kosten.

Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hatte bereits bei früheren Castortransporten um finanzielle Unterstützung zumindest für die direkten Einsatzkosten gebeten. Damit bezieht sich das Land auf Artikel 106 Grundgesetz, wonach durch den Bund verursachte Sonderlasten erstattet werden. Bislang verhallten jedoch derartige Forderungen beim Bund ungehört.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, sprach mit Blick auf die versuchte Zerstörung eines Räumfahrzeugs von einer "neuen Stufe der Gewalt". Es sei kaum zu begreifen, dass Menschen Polizeifahrzeuge mit brennbarer Flüssigkeit übergössen und anzündeten, während die Beamten darin säßen, sagte er der "Rheinischen Post". Augenzeugen berichteten aber auch, dass die Polizei rüde gegen Demonstranten an den Gleisen vorgegangen sei.

Polizeipräsident: "Anderes Level als 2008"

Auf der letzten Zugetappe von Lüneburg nach Dannenberg fuhr ein Reparaturzug vor dem Transport, um von Atomkraftgegnern möglicherweise verursachte Gleisschäden auszubessern. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte das Entfernen von Steinen aus dem Gleisbett - das "Castor schottern" - als Straftat verurteilt. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagte in der ARD, wer so etwas tue, gefährde das Demonstrationsrecht friedlicher Protestierer - die Polizei dagegen würde es sichern.

Die Polizei verteidigte ihr Vorgehen. "Dieser Castor-Transport hat ein anderes Level als beim vorherigen Transport 2008", sagte der Lüneburger Polizeipräsident Friedrich Niehörster. Straftaten an den Gleisen könnten nicht geduldet werden.

Die niedersächsische Grünen-Fraktion kritisierte, die Polizei sei unangemessen hart vorgegangen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung und die Atomkonzerne würden diesen Großkonflikt auf dem Rücken der Polizisten austragen. Der am Freitag nahe der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague gestartete zwölfte Atommüll-Transport mit elf Castor-Behältern für Gorleben erlebte auf seiner Fahrt eine wahre Odyssee. Umleitungen wegen Blockaden, von einer Brücke bei Kassel abgeseilte Anti-Atom-Aktivisten und zuletzt drei an Gleise gekettete Atomkraftgegner bei Celle hielten den Zug immer wieder auf.

Die Castor-Demonstranten begründen ihren Protest auch mit der Laufzeitverlängerung für die 17 deutschen Atomkraftwerke. Dadurch fällt weiterer Atommüll an. Röttgen argumentierte aber mit Blick auf den Transport und darauf, dass sich der Protest auch gegen die geplante Weitererkundung des Salzstocks Gorleben als Atommüll- Endlager richtet, dass es derzeit um alten Atommüll gehe: "Wir haben Verpflichtungen aus vergangenem Tun." Zum Protest-Auftakt am Samstag hatten in Dannenberg zehntausende Menschen aus ganz Deutschland friedlich auf einem Maisacker gegen die schwarz-gelbe Atompolitik demonstriert - so groß war der Protest im Wendland noch nie. Die Veranstalter sprachen von 50 000, die Polizei zählte rund 25 000 Teilnehmer.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace forderte, den Müll nicht nach Gorleben, sondern zu den deutschen Atommeilern zurückzubringen, wo er produziert wurde. (dapd/dpa/AFP)

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