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Atomtest: Wie gefährlich ist Nordkorea?

Nordkorea hat zwei Tage nach seinem Atomwaffentest Südkorea mit einem Militärschlag gedroht. Welche Möglichkeiten hat Pjöngjang, und wie gefährlich ist die Situation?

Pjöngjang spielt sein liebstes Spiel. Drohungen, Waffentests, noch mehr Drohungen. Nach dem Atomwaffentest vom Montag folgten Raketenstarts am Dienstag und nun die Aufkündigung des Waffenstillstandsvertrags von 1953 mit Südkorea, plus die Androhung eines Militärschlags. Als Begründung für diese weitere Eskalationsstufe wurde Südkoreas voller Beitritt zu einer US-geführten Initiative gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen genannt.

Wie gefährlich ist Nordkorea?

Über militärisch einsetzbare Nuklearwaffen verfügt Nordkorea derzeit nicht. Der erste Nuklearwaffentest 2006 war wohl teilweise ein technischer Fehlschlag. Die Explosionskraft lag unter einer Kilotonne. Der Test am 25. Mai dürfte besser gelungen sein. Ob er den Nachweis erbrachte, dass das nordkoreanische Design einer Nuklearwaffe funktioniert, ist noch unklar. Russische Quellen meldeten eine Explosion von bis zu 20 Kilotonnen, westliche Experten, die Explosion habe wahrscheinlich in der Größenordnung von vier Kilotonnen gelegen.

Nordkorea produziert sein Plutonium selbst. In der Wiederaufarbeitungsanlage von Yongbyan wurden nach westlichen Schätzungen insgesamt etwa 40-50 Kilogramm Plutonium hergestellt. Etwas mehr als 25 Kilogramm dürften für den Bau von Waffen zur Verfügung stehen. Zwischen fünf und zehn Waffen könnte Nordkorea damit theoretisch bauen. Bislang lag die Anlage noch still. Nach Angaben Südkoreas wurde sie aber inzwischen wieder in Betrieb genommen.

Um militärisch nutzbare Atomwaffen zu bauen, müsste Nordkorea seine Sprengsätze so anpassen, dass sie von nordkoreanischen Raketen transportiert werden können. Dies dürfte noch viel Zeit und möglicherweise etliche weitere Tests erfordern. Alternativ könnten zwar auch Flugzeuge genutzt werden. Doch Nordkorea verfügt nur über alte Modelle, die wenig Chancen hätten, die südkoreanische oder japanische Abwehr zu überwinden.

Nordkorea verfügt über eine der zahlenmäßig größten Armeen dieser Erde. Mehr als 1,1 Millionen aktive Soldaten und rund 4,7 Millionen Reservisten – so das Londoner Institut für Internationale und Strategische Studien. Deren Kampfkraft wird jedoch als relativ gering eingeschätzt. Die Waffensysteme sind zumeist sehr alt. Der größte Teil der Kampfpanzer stammt noch aus dem Zweiten Weltkrieg oder dem Korea-Krieg. Die meisten Kampfflugzeuge wurden in den 50er und 60er Jahren entwickelt. Die Armee gilt zudem als schlecht versorgt und mangelhaft ausgebildet. Die größte Gefahr für den Nachbarn Südkorea geht von Nordkoreas Artillerie und Raketen aus – die südkoreanische Hauptstadt Seoul liegt nur etwa 70 Kilometer von der Grenze entfernt. Weitreichende Artillerie sowie Kurz- und Mittelstreckenraketen mit konventionellen Gefechtsköpfen könnten sie erreichen. Nordkorea testet solche Raketen regelmäßig. Eingeführt wurden jedoch bislang vor allem Raketen mit kurzen Reichweiten. Ziele in Japan könnte Nordkorea nur mit Mittelstreckenraketen erreichen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass solche Waffen bereits bei den regulären Streitkräften eingeführt wurden. Japan und Südkorea verfügen über recht große, moderne und gut ausgebildete Armeen, die der nordkoreanischen deutlich überlegen sind.

Warum eskaliert die Situation auf der koreanischen Halbinsel gerade jetzt?

Die Regierung in Pjöngjang will offensichtlich die Aufmerksamkeit der Vereinigten Staaten auf sich ziehen – und von Atommacht zu Atommacht verhandeln. Nach dem Machtwechsel im Weißen Haus lagen die Prioritäten in Washington bisher auf anderen Krisenherden. Die Versuche Nordkoreas, in direkte, bilaterale Abrüstungsgespräche mit den USA einzusteigen und damit die 2003 begonnenen Sechser-Verhandlungen mit Südkorea, den USA, China, Japan und Russland zu umgehen, hat US-Präsident Barack Obama schlicht ignoriert. Anders als sein Vorgänger setzt er offenbar mehr auf multilaterales Vorgehen. „Washington will keine Sonderrolle mehr spielen, sondern ist der Meinung, die regionalen Mächte China, Japan und Russland müssten Verantwortung übernehmen“, sagt Markus Tidten, Nordkorea-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Obama sei bereit, sich einzuordnen. Auch seine erste Reaktion auf den Atomwaffentest fiel auffallend moderat aus. „Das reizt Nordkorea natürlich“, sagt Tidten. Pjöngjang versuche nun, den Druck weiter zu erhöhen – auch deshalb, weil die Solidarität mit dem bedrohten Nachbarn Südkorea zugenommen hat. „Moskau, Peking und Washington ziehen inzwischen am selben Strang. Das war in der Vergangenheit häufig nicht der Fall – und ist das eigentlich Überraschende“, erklärt der SWP-Experte

Daneben könnten aber auch interne Probleme eine Rolle spielen. Machthaber Kim Jong Il soll an den Folgen eines Schlaganfalls leiden. In einem abgeschotteten Staat wie Nordkorea könnte die Nachfolge noch mehr Unsicherheit schaffen, hatte US-Außenministerin Hillary Clinton kürzlich zu bedenken gegeben. Manche Experten vermuten, dass Kim Jong Il von seiner eigenen Schwäche ablenken und in der ihm noch verbleibenden Zeit seine Nachfolge regeln will – die Machtdemonstration solle dabei seinen Führungsanspruch unterstreichen.

Warum stellt sich China dieses Mal nicht auf die Seite Pjöngjangs?

Die Volksrepublik garantiert das Überleben Nordkoreas, nicht nur als Hauptlieferant von Lebensmitteln und Energie für das bitterarme Land. China ist auch die einzig verbliebene Schutzmacht Pjöngjangs. Doch präsentiert sich Peking inzwischen als neue Großmacht mit weltpolitischer Verantwortung. „In den Sechser- Gesprächen hat Peking gezeigt, dass es konstruktiv mitarbeiten und ernst genommen werden will“, sagt Tidten. Da würde es dem nationalen Ansehen schaden, wenn sich Peking wieder vor den Karren Nordkoreas spannen ließe. „China ist als Ordnungsmacht gefordert“, sagt Tidten, und fühle sich daher „gebauchpinselt“. Langfristig wolle China zwar einen Nachbarn Nordkorea, der einen idealen Puffer darstelle – „aber nur unterhalb der Atomschwelle“. Das sei ein Hoffnungsschimmer. Dieses Verhalten habe auch Auswirkungen auf Russland, das ebenfalls seinen Einfluss geltend machen wolle.

Welchen Spielraum haben die USA?

Nordkoreas neue Atom- und Raketentests stellen Obama vor ein mehrfaches Dilemma. Generell hat er in Abgrenzung zu George W. Bush eine größere Gesprächsbereitschaft bei internationalen Konflikten versprochen. Gegenüber Nordkorea herrscht daran kein Mangel. Das Problem ist das umgekehrte: Pjöngjang hält die Absprachen nicht ein. Die Druckmittel sind ebenfalls begrenzt. Mit Sanktionen lässt sich Nordkorea nicht in die Knie zwingen. Militärische Maßnahmen scheiden aus, nicht nur weil der Diktator Atomwaffen hat. Auch ein konventioneller Krieg würde viel zu viele Opfer kosten.

Noch mehr Sorgen als der Umgang mit einer Atommacht Nordkorea bereitet den USA jedoch die Gefahr der Weiterverbreitung von Atom- und Raketentechnik. Pjöngjang kann versuchen, seine Kenntnisse und auch Waffenkomponenten an reiche Staaten im Nahen und Mittleren Osten oder in Südamerika zu verkaufen. Daher wird in Washington über eine Inspektion aller Handelsschiffe, die das Land verlassen, spekuliert. Doch alle Druckmittel könnten das Gegenteil der Absicht bewirken. Sanktionen erhöhen die Gefahr, dass Nordkorea seine Waffentechnik zu Geld machen möchte. Und eine Seeblockade könnte den Diktator dazu provozieren, seine Raketen zielgerichtet einzusetzen.

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