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Politik: Auch die Kirche fordert Karadzic zur Aufgabe auf

Oberhaupt der Serbisch-Orthodoxen: An seiner Stelle würde ich nach Den Haag gehen / USA: Festnahme steht unmittelbar bevor

Das Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche in Montenegro, der Metropolit Amfilohije, hat den bosnisch-serbischen Expräsidenten Radovan Karadzic aufgefordert, sich freiwillig dem Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu stellen. Im ersten Interview mit ausländischen Journalisten seit Ende des Bosnien-Krieges 1995 sagte Amfilohije dem Tagesspiegel: „Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich nach Den Haag gehen.“ Sollte sich der 60-Jährige zu dem bereits Ende Juli von seiner Frau geforderten Schritt entschließen, wäre das nach Sicht des höchsten Kirchenvertreters in Montenegro eine „außerordentlich gute“ Entscheidung. Es handele sich dabei um eine Frage „persönlicher Verantwortung vor Gott, dem Volk und der Geschichte“.

Amfilohije gilt als helfende Hand Karadzics, der vom Haager Tribunal wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in mehr als einem Dutzend Fällen angeklagt ist. Erst Anfang August hatten lokale Medien der serbisch-orthodoxen Kirche vorgeworfen, Karadzic in einer Außenstelle des Bergklosters Ostrog versteckt zu halten. Amfilohije wies dies zurück. Weder halte sich der 60-Jährige auf dem Gelände auf noch gebe es im Nebenkloster Jovan Do unterirdische Tunnelanlagen. Kategorisch ausschließen, dass Karadzic auf Kirchengrund gefunden werden könnte, wollte Amfilohije nicht: „In dieser Welt der Wunder ist alles möglich.“

Der spektakuläre Schritt des höchsten Kirchenvertreters in Montenegro kommt nur einen Monat nach der Aufforderung von Karadzics Frau Ljiljana, sich freiwillig nach Den Haag zu begeben. Amfilohije bezeichnete die Entscheidung als Folge der Drohungen, der die Familie ausgesetzt sei. Nato-Truppen hatten Karadzics Sohn Aleksander „Sascha“ im Juli zehn Tage lang gefangen gehalten und verhört. Erst im Mai war der Metropolit bei der Beerdigung von Karadzics Mutter im nordmontenegrinischen Niksic erschienen. Kirchenkenner gehen davon aus, dass der bislang eher als Nationalist aufgefallene Metropolit mit seinen mäßigenden Worten eine mögliche Kandidatur zum Patriarchen in Belgrad vorbereiten will. Auch ein Wechsel an die Spitze der Anfang der neunziger Jahre neu gegründeten montenegrinisch-orthodoxen Kirche sei möglich.

Das montenegrinische Nachrichtenmagazin „Monitor“ berichtet aktuell, Kirchenvertreter verhandelten mit Angehörigen von US-Geheimdiensten über eine freiwillige Auslieferung Karadzics. Diese könnte bereits im September erfolgen. Aus regierungsnahen Kreisen in Podgorica erfuhr der Tagesspiegel zudem, dass rund zwei Dutzend US-amerikanische Geheimdienstangehörige in den vergangenen Monaten nach Montenegro gekommen seien, um eine freiwillige Überstellung vorzubereiten. Auch Angehörige britischer und französischer Nachrichtendienste seien dort präsent. In dieser Woche haben die USA signalisiert, die Festnahme stehe unmittelbar bevor. Die EU hat Belgrad den 5. Oktober als Frist für die Verhaftung vorgegeben, um die Gespräche über eine Annäherung Serbien-Montenegros an Brüssel zu starten.

Markus Bickel[Podgorica]

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