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Politik: Auf dem Trockenen

Der weltweite Wassermangel gefährdet Menschen mehr als Kriege – UN kritisieren die reichen Staaten

Die Vereinten Nationen schlagen den globalen Wasseralarm: Die dramatische Krise in der Wasser- und Sanitärversorgung provoziert vor allem in den armen Ländern jährlich Millionen vermeidbarer Todesfälle, heißt es im Jahresbericht 2006 des UN-Entwicklungsprogramms UNDP. In vielen einkommensschwachen Staaten der Welt gefährde der Wassernotstand die Menschen viel stärker als gewaltsame Konflikte. Und der Klimawandel drohe die Unsicherheit der Wasserversorgung „in einem nie da gewesenen Ausmaß“ zu verschärfen. Die Staatengemeinschaft müsse einen globalen Aktionsplan aufstellen, doch auch die betroffenen Länder sollten mehr Geld bereitstellen.

Das UNDP präsentiert dramatische Zahlen. So sitzen weltweit rund 1,1 Milliarden Menschen buchstäblich auf dem Trockenen: Sie sind über längere Perioden von sauberem Wasser abgeschnitten. Mehr als 2,6 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu geeigneter Sanitärversorgung. „Kein Zugang zu Sanitärversorgung ist eine höfliche Art, zu sagen, dass die Menschen ihr Wasser zum Trinken, Kochen und Waschen aus Flüssen, Seen, Be- und Entwässerungsgräben beziehen, die mit Fäkalien von Menschen und Tieren verunreinigt sind“, sagt der UNDP-Experte Kevin Watkins. „Es bedeutet, dass in Elendsvierteln wie Kibera außerhalb von Nairobi die Menschen ihre Notdurft in Plastiktüten verrichten und sie dann auf die Straße werfen, weil sie keine andere Wahl haben.“ Die Folge: Dreckwasser, Notlatrinen und Exkremente verursachen jedes Jahr tödliche Durchfallerkrankungen bei 1,8 Millionen Kindern.

Helfen würden nach Ansicht der Experten Spültoiletten: In Ländern wie Peru und Ägypten verringere sich die Sterblichkeit von Säuglingen um fast 60 Prozent in Haushalten, die ihre Fäkalien durch ein WC entfernen. Als „grausame Ironie“ bezeichnet das UNDP die hohen Kosten: „Wasser kostet diejenigen am meisten, die es sich am wenigsten leisten können.“ So zahlen die Einwohner der Elendsquartiere Nairobis fünf- bis zehnmal mehr für einen Liter Wasser als die Reichen in derselben Stadt. In vielen Entwicklungsländern müssen die Menschen dafür einen weitaus höheren Anteil ihres Einkommens aufbringen als in den Staaten des Nordens.

Der verschärfte Wettbewerb um Wasser wird, so befürchten die Autoren, die sozialen Konflikte innerhalb der Staaten verschärfen. Die Schwachen, Armen und Benachteiligten, Kleinbauern etwa, drohten aus diesem Verteilungskampf als die großen Verlierer herauszugehen. Jedoch bewerten die UNDP-Autoren Berichte über drohende große internationale Konflikte ums Wasser als „Schreckgespenst“. In den vergangenen 50 Jahren gab es 37 dokumentierte Fälle, in denen es bei Wasserdisputen zwischen Staaten zu Gewalt kam. Gleichzeitig aber schlossen Staaten mehr als 200 Abkommen über Wassernutzung und -versorgung.

Trotzdem kritisieren die UNDP-Fachleute die internationalen Anstrengungen: „Was die Wasser- und Sanitärversorgung angeht, so leidet die Welt an einem Überschuss an Konferenzen und einem Defizit an glaubwürdigem Handeln.“ Handeln müssten vor allem die reichen G-8-Staaten wie Deutschland. Die Versorgung mit Wasser gehöre „ganz oben“ auf die Entwicklungsagenda.

Jan Dirk Herbermann[Genf]

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