zum Hauptinhalt
Vor der Kirche in Taurus. Bundespräsident Christian Wulff und Ehefrau Bettina unterhalten sich vor dem ökumenischen Gottesdienst. Offizielle türkische Vertreter kamen nur zu Begrüßung, gingen aber nicht in die Kirche. Foto: Steffen Kugler/dpa

© dpa

Politik: Auf den Spuren des Apostel Paulus

Wulff trifft im Süden der Türkei Vertreter der christlichen Minderheit – und nennt Religionsfreiheit ein „Menschenrecht“

Bischof Grigorius Melki Ürek ist sehr früh aufgestanden an diesem Donnerstagmorgen. Rund 400 Kilometer hat der Bischof der syrisch-orthodoxen Kirche im ostanatolischen Adiyaman zurückgelegt, um beim Gottesdienst mit dem deutschen Bundespräsidenten im südtürkischen Tarsus dabei sein zu können. In der Zeremonie in der Paulus-Kirche rezitiert Ürek vor Christian Wulff und den anderen Gästen das Vaterunser auf Aramäisch, der Sprache, die Jesus Christus vor 2000 Jahren sprach. Es ist einer der feierlichsten Momente bei der Zusammenkunft des deutschen Staatschefs mit den Vertretern der christlichen Minderheiten der Türkei, für die er sich bei seinem Besuch so einsetzt.

Zum ersten Mal besucht ein deutscher Bundespräsident die Stadt Tarsus, den Heimatort des Apostels Paulus. Die Kirche ist offiziell ein Museum, in dem Gottesdienste nur mit behördlicher Genehmigung stattfinden dürfen. Eine christliche Gemeinde gibt es in der Heimat von Paulus nicht mehr. Der amtierende armenische Patriarch, Aram Atesyan, erscheint mit Bodyguards in Tarsus. Der Gottesdienst wird von den Pfarrern der – katholischen und protestantischen – deutschen Gemeinden von Istanbul zelebriert. Auch die Gäste, neben den syrisch-orthodoxen und armenischen Christen auch ein Vertreter der griechisch-orthodoxen Christen, sind aus der ganzen Türkei angereist, um mit dem deutschen Präsidenten ein Zeichen zu setzen. Repräsentanten der Türkischen Republik in Tarsus fehlen bei der Demonstration christlicher Vielfalt auf türkischem Boden. Bürgermeister, Landrat und andere Offizielle erscheinen zwar zur Begrüßung von Wulff vor der Kirche, bleiben dem anschließenden Gottesdienst aber lieber fern.

Was in der Kirche so alles gesagt wird, hätte ihnen vielleicht auch nicht gefallen. In seiner sehr politischen Predigt betont Pfarrer Holger Nollmann von der deutschen protestantischen Gemeinde in Istanbul die Sehnsucht der Christen nach „vollständiger Religionsfreiheit“, die mehr sei als religiöse Toleranz. Schließlich werde Toleranz von einer Obrigkeit „gewährt oder versagt“. Religionsfreiheit sei dagegen ein Rechtsanspruch. In den Fürbitten wird Gottes Hilfe „für die einheimischen Kirchen in ihrer oft schwierigen rechtlichen und politischen Situation“ erbeten.

Wulff nimmt sich Zeit für ein langes Gespräch mit den Kirchenvertretern, singt im Gottesdienst alle Kirchenlieder mit und sagt hinterher, der Besuch in Tarsus sei ein „unvergesslicher Tag“ gewesen. Viel mehr als bei den politischen Begegnungen in Ankara zu Beginn seines Besuches am Dienstag, bei denen er mitunter unsicher und hölzern wirkte, scheint er bei den Christen in Tarsus in seinem Element zu sein. Er plaudert mit den italienischen Nonnen, die sich um die Paulus-Kirche kümmern, und mit deutschen Christen, die aus dem nahen Adana nach Tarsus gekommen sind.

Und er findet deutliche politische Worte. Wulff nutzt mehrere Statements gegenüber den Medienvertretern, um das Thema Religionsfreiheit zu unterstreichen. Diese sei „ein Menschenrecht“ für Gemeinschaften und Einzelne gleichermaßen, sagt der Bundespräsident auf dem Hof vor der Kirche. Die Muslime in Deutschland könnten ihren Glauben frei leben, und dasselbe solle auch für die Christen in der Türkei gelten, wiederholt er wenige Minuten später vor türkischen Reportern. Dem Bundespräsidenten geht es besonders um die Anerkennung der Kirchen als Rechtspersönlichkeiten, um die Unterhaltung von Kirchen und um die Priesterausbildung. Der türkischen Regierung zollt er Respekt wegen der bereits erfolgten Reformen zugunsten der Christen: „Wir sind in der richtigen Richtung unterwegs“, sagt Wulff. Aber eben noch nicht am Ziel angekommen.

Auch Wulff ist noch nicht am Ziel seiner Bemühungen, Christen und türkischen Staatsvertretern gleichermaßen deutlich zu machen, dass es sich bei der Religionsfreiheit für ihn um eine Herzensangelegenheit handelt. In Istanbul will sich Wulff an diesem Freitag, dem letzten Tag seines Türkeibesuches, mit Bartholomäus I. treffen, dem Patriarchen von Konstantinopel und geistlichen Oberhaupt von 300 Millionen orthodoxen Christen weltweit. Die Orthodoxen dürfen seit fast 40 Jahren keine Priester mehr ausbilden. Wulff hat in den vergangenen Tagen mehrmals die Wiedereröffnung der seit 1971 geschlossenen orthodoxen Priesterschule Halki bei Istanbul gefordert. In Tarsus deutet er an, dass sich bei diesem Thema bald etwas tun könnte: Er hoffe, dass es „alsbald“ entsprechende Schritte gebe, sagt er. Das wäre ein wichtiger Durchbruch, auch für die EU-Gespräche der türkischen Regierung.

Um die türkische Seite dazu zu ermuntern, versucht es Wulff vor den türkischen Journalisten mit dem Hinweis auf Einkünfte aus dem Tourismus: Sollte die Paulus-Kirche dauerhaft für Gottesdienste geöffnet werden, so wie die katholische Kirche das fordert, dann würden auch viel mehr Besucher in die Stadt kommen, sagt der Bundespräsident. Er selbst würde auch gerne noch einmal mit seiner Familie nach Tarsus reisen. „Dann gehen wir auch in die Moschee.“

Ob Wulffs Engagement den Christen helfen wird, steht beim Besuch des Präsidenten in Tarsus noch nicht fest. Vorerst müssen sie jedenfalls ohne durchschlagende Verbesserungen auskommen. Auf dem Hof vor der Paulus-Kirche unterhalten sich am Rande des Präsidentenbesuches zwei christliche Geistliche leise über ihre Alltagssorgen. Der eine hat in seinem Amtsbezirk ein Bauprojekt begonnen, das bisher nicht abgeschlossen werden konnte. „Gibt’s Probleme?“ fragt sein Gesprächpartner. Der Geistliche lächelt vielsagend: „Lass uns einfach sagen, alles ist wunderbar.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false