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In Sicherheit soll Aktivist Guangcheng nun sein, das hatte die Regierung versprochen. Eigentlich. Hillary Clinton will wachsam bleiben. Foto: Jordan Pouille/AFP

© AFP

Politik: „Auf eigenen Wunsch“

Blinder chinesischer Bürgerrechtler verlässt nach Drohungen gegen seine Familie die US-Botschaft.

Ein Patient in Badelatschen und weißblaukariertem Krankenhausanzug wunderte sich am Mittwochabend in Peking über zwei Dutzend Kameras und rund 60 zumeist westliche Journalisten, die sich vor dem Eingang des Chaoyangkrankenhauses postiert hatten. „Was machen die Ausländer hier?“, fragte er einen Mitpatienten. Ein chinesischer Demonstrant hielt plötzlich ein Plakat in die Kameras: „Freiheit für Guangcheng – Demokratie für China“. Er konnte es nur wenige Sekunden zeigen, dann stürzten Polizei und Zivilbeamte auf ihn zu und führten ihn ab. Immerhin eine der Forderungen des Demonstranten geht ein bisschen in Erfüllung. Der blinde chinesische Bürgerrechtler Chen Guangcheng hat zumindest die Zusicherung der chinesischen Regierung, in Zukunft in China mit seiner Familie an einem „sicheren Ort“ leben und ein Jurastudium aufnehmen zu können.

Nach dieser Selbstverpflichtung Chinas hat Chen Guangcheng am Mittwochnachmittag die US-Botschaft verlassen, in die er sechs Tage zuvor geflüchtet war. Zuvor schien eine Ausreise in die USA die einzige Lösung zu sein. Doch wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, stimmte er nur zu, in China zu bleiben, um seine Familie zu schützen: Die Behörden hätten mit der Tötung seiner Frau gedroht, falls er das Botschaftgelände nicht verlasse, sagte er demmach. Das chinesische Außenministerium erklärte dagegen, Chen habe die Botschaft „auf eigenen Wunsch“ verlassen.

Begleitet vom US-Botschafter begab sich Chen Guangcheng zur Behandlung seiner auf der Flucht erlittenen Verletzungen in die Chaoyang-Klinik. Dort traf er auch seine Frau und seine beiden Kinder, die er bei seiner nächtlichen Flucht in seinem Heimatort zurücklassen musste.

Laut „Los Angeles Times“ haben sich die chinesischen Behörden auch einverstanden erklärt, eine Untersuchung über seinen 18-monatigen illegalen Hausarrest in seinem Heimatort Dongshigu einzuleiten. Nach Chens Angaben sind er und seine Familie dort wiederholt geschlagen und bedroht worden. Auch gebe es die Zusicherung, seine Fluchthelfer nicht zu bestrafen, schreibt die Zeitung unter Berufung auf hohe US-Beamte. Auch am Mittwoch blieb unklar, wo die Fahrerin seines Fluchtautos und sein Neffe sind, der sich nach Chens Flucht mit einem Messer gegen in sein Haus eindringende Sicherheitskräfte gewehrt haben soll.

„Ich bin sehr erfreut, dass wir Chen Guangchengs Aufenthalt und sein Verlassen der US-Botschaft in einer Weise ermöglichen konnten, die seine Wahl und unsere Werte reflektieren“, sagte US-Außenministerin Hillary Clinton, die am Mittwoch in Peking eingetroffen war. Beide Regierungen hatten vor dem an diesem Donnerstag beginnenden bilateralen Sicherheits- und Wirtschaftsdialog tage- und nächtelang verhandelt, um den Fall zu lösen.

Chen habe nun einige Abmachungen mit der chinesischen Regierung, bestätigte Hillary Clinton. „Diese Verpflichtungen in die Realität umzusetzen, ist die nächste schwierige Aufgabe“, sagte sie. Die USA würden sich weiter für Chen und seine Familie engagieren, versprach die Außenministerin. Tatsächlich sollen die chinesischen Behörden zugesichert haben, dass US-amerikanische Mediziner und Diplomaten regelmäßig Zugang zu ihm bekommen.

Theoretisch erhält Chen nun den Status eines Vip-Menschenrechtlers in China, der unter US-amerikanischem Schutz steht. Dieses überraschende Resultat könnte darauf hinweisen, dass sich gegenwärtig in der chinesischen Regierung die Reformer gegenüber den Hardlinern, zu denen die Vertreter des Sicherheitsapparates zählen, durchgesetzt haben. Deren oberster Chef Zhou Yongkang, die Nummer neun in der Staatshierarchie, befindet sich als Freund des abgesetzten Politbüromitgliedes Bo Xilai gegenwärtig ohnehin in der Defensive. „Chens Ergebnis wäre nicht möglich, wenn nicht das höchste Führungsgremium mit der ,Lösung’ des Sicherheitsapparates, Chen Guangcheng zu kontrollieren, nicht einverstanden wäre“, erklärt Nicholas Bequelin von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

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