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Politik: Auf verlorenem Posten

Die Zahl der Aidstoten steigt – denn in den ärmsten Ländern hat noch kaum jemand Zugang zu lebensverlängernden Medikamenten

Berlin - Es wird immer schlimmer. Noch nie gab es weltweit so viele Aidskranke wie im Jahr 2005. 40,3 Millionen Menschen leben nach den neuesten Zahlen des UN-Aidsprogramms derzeit mit dem HI-Virus, 4,9 Millionen haben sich im vergangenen Jahr infiziert. In Botsuana und Swasiland ist bereits jede dritte Schwangere HIV-positiv, in Südafrika, Lesotho, Namibia und Simbabwe jede fünfte. Und nicht nur im südlichen Afrika und Asien, auch in Osteuropa breitet sich die Immunschwächekrankheit immer stärker aus – insbesondere in Polen und in der Türkei.

Auch die Zahl der Toten steigt: 3,1 Millionen waren es 2005, ein Sechstel davon Kinder. Hier zeigt der Blick auf die Weltkarte aber die Unterschiede: Trotz 1,9 Millionen Infizierter mussten in den Ländern Nordamerikas sowie West- und Mitteleuropas „nur“ 30 000 daran sterben. Der Grund: In den reichen Ländern kann die Krankheit schnell erkannt und dann auch therapiert werden – mit so genannten antiretroviralen Mitteln, die die Ausbreitung des Virus im Körper bremsen. Westeuropa und Nordamerika, so resümiert der aktuelle UN-Bericht, „bleiben die einzigen Regionen der Welt, in denen die meisten Menschen, die antiretrovirale Behandlung benötigen, diese auch bekommen“. Ende der 90er Jahre sei die Zahl der Aidstoten deshalb hier stark gefallen, dieser „Trend“ halte an.

Ganz anders in den ärmsten Ländern. Im südlichen Afrika erhöhte sich die Zahl der Aidstoten in zwei Jahren von 2,1 auf 2,4 Millionen, in Osteuropa und Zentralasien verdoppelte sie sich sogar (auf 62 000). „Bestenfalls einer von zehn Afrikanern und einer von sieben Asiaten“ habe Mitte 2005 im Bedarfsfall Behandlung erhalten, heißt es im UN-Bericht.

Dennoch sei der Zugang zu den Aidsmedikamenten besser geworden. In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen habe er sich seit Ende 2001 verdreifacht. In Lateinamerika habe dies bis zu 350 000 Todesfälle verhindert, sagt WHO-Generalsekretär Lee Jong Wook – und verweist besonders auf Argentinien, Brasilien, Chile und Kuba.

Nach den Worten von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) will auch die Bundesregierung Menschen in armen Ländern den Zugang zu preisgünstigen Aidsmedikamenten erleichtern. Allerdings verweist das globalisierungskritische Netzwerk „Attac“ hier auf „massive Widersprüche“ innerhalb der Regierung. Die sinnvolle Arbeit des Entwicklungsministeriums werde „von Wirtschafts- und Justizministerium konterkariert“, sagt Sprecher Oliver Mollenhauer – und verweist auf die restriktive Haltung von Bundesregierung und EU bei der Frage der Importe von Generika-Medikamenten in afrikanische Länder. „Hier werden die Interessen deutscher Großunternehmen und die Ideologie möglichst starker geistiger Eigentumsrechte wichtiger genommen als das grundlegende Menschenrecht von Millionen.“

Nach Ministeriumsangaben investiert Deutschland jährlich 300 Millionen Euro in den weltweiten Kampf gegen die Immunschwächekrankheit. Dem Aktionsbündnis gegen Aids ist das zu wenig. Der Etat müsse bis 2007 auf 700 Millionen steigen, fordert Sprecher Jürgen Hammelehle. Im Vergleich mit anderen Geberländern sei Deutschland zurückgefallen.

Auch von der Aids-Stiftung kommt Kritik. Sie bezieht sich aber auf die Aidsprävention im eigenen Land. Einwanderer aus Osteuropa mit überdurchschnittlich hoher Infektionsquote seien bislang kaum über Aidsrisiken informiert. Aids sei nicht nur ein Problem armer Länder, warnt Stiftungs-Geschäftsführer Ulrich Heide. Die 20-prozentige Zunahme von HIV-Neuinfektionen im ersten Halbjahr 2005 hier zu Lande – vor allem bei schwulen Männern – habe keinen überrascht.

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