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Politik: Aufschwung – mit Glück

REFORMJAHR 2004?

Von Ursula Weidenfeld

Möglich ist, dass der Bundeskanzler diesmal Glück hat. Dass es endlich klappt mit dem Aufschwung. Und wenn es klappt, wird Gerhard Schröder wie vor vier Jahren sagen: Das ist mein Aufschwung. Das ist der Lohn für die Reformen auf dem Arbeitsmarkt und bei den Steuern, bei der Handwerksordnung und bei der Sozialhilfe. Für die Einschnitte des Reformherbstes 2003, die alle so gefürchtet haben. Die meine eigene Partei an den Rand des Zerreißens gebracht haben. Sie haben sich gelohnt.

So könnte es sein. Wenn er Glück hat, der Bundeskanzler, und die Hoffnung auf die Erholung der Konjunktur aufgeht. Dann zahlt es sich aus, dass er bis zu den letzten politischen Minuten dieses Jahres alles gewagt – und einiges gewonnen hat. Er hat Politik gegen die Erwartungen und Wünsche der eigenen Wähler, der eigenen Partei gemacht. Er hat seinen grünen Koalitionspartner zur Randerscheinung werden lassen und stattdessen die Opposition ins Licht gestellt: alles, damit der Aufschwung kommt.

Das stimmt natürlich nicht. Die Wirtschaft reagiert nun einmal nicht kurzfristig auf politische Entscheidungen, auch dann nicht, wenn sie – wie die Kanzler-Reformen – aus ihrer Sicht Schritte in die richtige Richtung waren. Die Wirtschaft bewegt sich in anderen Zyklen. Politische Versäumnisse bestraft sie manchmal erst, wenn diejenigen, die sie zu verantworten haben, schon im Ruhestand sind. Und politisches Verantwortungsbewusstsein belohnt sie erst, wenn diejenigen, die gehandelt haben, schon wieder in der Opposition schmoren. So ist die Wirtschaft. Undankbar. Deshalb ist es für Politiker auch so leicht, das Gebot einer vernünftigen und langfristigen Wirtschaftspolitik zu ignorieren.

Es sei denn, es passt zufällig einmal alles zusammen. Denn ein glücklicher Zufall, nicht die unmittelbare Wirkung von Schröders Agenda 2010, wäre es, wenn es im kommenden Jahr eine Belohnung für alle gibt, die mit den Reformen auf Geld und Besitzstände verzichten mussten. Die weltwirtschaftlichen Zeichen für das Jahr 2004 stehen auf konjunkturelle Erholung und Aufschwung, auch in Deutschland. Solange die Weltwirtschaft stabil bleibt, die US-Wirtschaft läuft und es keinen dramatischen Absturz des Dollar gibt – solange wird auch die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr wachsen.

Aber wäre das ein Glück, aus dem die Politik lernen könnte? Eines, das zu weiteren Reformen, zu fortgesetzter Kooperation zwischen der oppositionellen Union und der Regierungspartei SPD, zu einer gemeinsamen Renten-, Pflegeversicherungs- oder sogar zu einer großen Steuerreform führen kann? Wahrscheinlich nicht. Denn in der politischen Realität ist nichts so unwahrscheinlich wie geregelte Lernprozesse. Eine der (niemals beherzigten) Wahrheiten heißt: Im Aufschwung lässt es sich leichter reformieren, weil der Wohlstand insgesamt wächst und Einschnitte als nicht so hart empfunden werden. Aber wer will dem Volk schon die gerade wieder bessere Stimmung verderben? Zumal dann, wenn man bei fast jeder dieser Reformen auf die Opposition angewiesen ist und die eigenen Reihen immer wieder neu auf Kurs gebracht werden müssten. Und vor allem: wenn ein Wahlmarathon wie im Jahr 2004 bewältigt werden muss.

Warum sollte die CDU mitgehen auf diesem Weg? 14 Wahlen kann die Union für sich und gegen die SPD entscheiden. Die Stimmen der Rentner sind zu gewinnen oder zu verlieren, die Stimmen der Steuerzahler. Warum also sollte die Opposition eine Rentenreform mittragen? Warum die genial einfache Steuerreform, die doch das Werk der Union sein soll, zusammen mit der rot-grünen Bundesregierung auf den Weg bringen? Nicht glückliche Zufälle, es müssten Wunder geschehen, um das Jahr 2004 zu einem Reformjahr zu machen.

Es wird ein anstrengendes Jahr für die rot-grüne Bundesregierung sein. Ein Jahr, in dem sie die Rentenreform aus eigener Kraft voranbringen muss. Ein Jahr, in dem es mit ziemlicher Sicherheit keine große Steuerreform geben wird. Aber wenn die Stimmung steigt, dann wird das alles dem Kanzler nichts ausmachen. Dann hat er wieder Glück gehabt.

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