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Politik: Aufstand der Kerle

Timo Soini und seine Rechtspopulisten mischen vor der Parlamentswahl in Finnland das Establishment auf

Der Mann, der derzeit Finnlands politisches System durcheinanderwirbelt, kann sich beruhigt in seinem Stuhl zurücklehnen. Glaubt man den Umfragen, so wird Timo Soini mit seiner rechtspopulistischen Partei „Wahre Finnen“ bei der Parlamentswahl am Sonntag 15 bis 18 Prozent der Stimmen erhalten. Weniger entspannt wirken dagegen Regierungschefin Mari Kiviniemi und ihr Finanzminister Jyrki Katainen während der Wahldebatte im gläsernen Foyer des Sanoma-Verlagshauses in Helsinki. Sie beugen sich auf ihren Sitzen vor und heben die Hand, um sich zu Wort zu melden, als der Moderator eine Leserfrage zum Thema Rente vorliest. Während Ministerpräsidentin Kiviniemi zu argumentieren und zu erklären versucht, beschränkt sich Soini auf wenige einprägsame Sätze. Die Rentner hätten heute 200 Euro weniger als vor 15 Jahren, sagt er. Und schlägt dann den Bogen zu seinem Lieblingsthema, der Euro-Krise: „Wir haben Geld für Portugal, aber nicht für die Armen.“

Soinis Erfolg ist für ein Land, dessen Politik seit Jahrzehnten von der Suche nach dem größtmöglichen Konsens geprägt ist, eine kleine Sensation. Drei große Parteien haben sich bisher an der Macht abgewechselt: das Zentrum, die konservative Nationale Sammlungspartei und die Sozialdemokraten. Zwei dieser Parteien bilden in der Regel die Regierung, die dritte bleibt in der Opposition. Derzeit sind das Zentrum und Katainens Sammlungspartei am Ruder. Die spannende Frage ist in der Regel nur, welche der drei großen Parteien vorn liegt und den Regierungschef stellen darf. Diesmal hat Katainen die besten Chancen auf das Regierungsamt. Doch in einem politischen System, in dem jeder mit jedem koalieren kann, verwischen die Unterschiede zwischen den großen Parteien. „Sie nähern sich ideologisch immer stärker aneinander an“, sagt der Wahlforscher Ville Pernaa. „Im Prinzip sind es drei liberale Parteien.“ Jeder dritte Finne ist einer Umfrage zufolge fälschlicherweise der Meinung, die Sozialdemokraten seien in der Regierung.

Mit dem zu erwartenden Erfolg von Soinis Partei, die 2007 nur auf vier Prozent der Stimmen kam, ist wie in fast allen anderen Ländern Europas der Rechtspopulismus als größere politische Kraft nun in Finnland angekommen, auch wenn sich Soini weitaus gemäßigter gibt als etwa Politiker der Dänischen Volkspartei oder gar der rechtsextremen Schwedendemokraten. Der Parteichef hat die Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa geschickt ausgenutzt. Der rasante Aufstieg der „Wahren Finnen“ begann im vergangenen Jahr, als erst Griechenland und dann Irland über ein Rettungspaket gestützt werden mussten. Soini, der für seine Partei im Europaparlament sitzt, vergleicht die EU gern mit der Sowjetunion. Aus der Portugalkrise kann er nun im Wahlkampf Kapital schlagen. „Es ist empörend, dass wir ein System retten, das nicht funktioniert“, sagt der 48-Jährige. Seine Unterstützer – überwiegend Männer mittleren Einkommens, in allen Teilen des Landes – sind von den etablierten Parteien enttäuscht, besonders nach dem jüngsten Parteispendenskandal. So sind die „Wahren Finnen“ eine klassische Protestpartei. Ex-Präsident Martti Ahtisaari sprach vom „Aufstand der Kerle“.

Soini achtet penibel darauf, sich so wenig wie möglich inhaltlich festzulegen und nur ja nicht mit ausländerfeindlichen Parolen Schlagzeilen zu machen. „Jeder ist hier willkommen“, betonte er vor deutschen Journalisten. Zu viele Ausländer in Finnland? „Natürlich nicht.“ Ganz anders klingt das bei dem früheren Fernsehmoderator Seppo Huhta, der für die „Wahren Finnen“ kandidiert. „Es kommen mehr Asylanten, als Finnland aufnehmen kann.“ Noch drastischer äußert sich der erklärte Einwanderungsgegner und Islamkritiker Jussi Halla-aho, der ebenfalls für die „Wahren Finnen“ ins Parlament einziehen könnte. Er machte 2008 mit der Bemerkung in seinem Blog Schlagzeilen, er hoffe, dass die Grünen-Frauen von Einwanderern vergewaltigt würden, damit sich ihre „multikulturellen Ansichten gegen sie selbst wenden“.

Derartige Äußerungen hat Soini nie verurteilt. Von 240 Kandidaten verträten „vielleicht etwa zehn Leute eine harte Linie“, sagt er nur. Er bezeichnet sich zwar als Populist – aber ein Rechter, nein, das sei er nicht, er sieht seine Partei zwischen Sozialdemokraten und Zentrum.

Kaum jemand in Finnland scheint sich wirklich an dieser Partei zu stören, selbst ein Grünen-Kandidat findet es „erfrischend“, dass die Protestpartei die politische Klasse aufrüttelt. Sogar die Premierministerin verteidigt Soini und seine Partei. Es gebe zwar einige Kandidaten, die rassistisch seien, und das sei „ein Problem“, sagt Kiviniemi. „Das Programm ist aber nicht offen rassistisch.“ Die „Wahren Finnen“ forderten einfach eine „strenge Migrationspolitik“. Alle drei großen Parteien sind denn auch zu einer Koalition bereit – ganz in der Tradition, dass man selbst mit einem wie Soini schon zu einem Konsens kommen wird.

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