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Politik: Aus der Wärmestube

Von Axel Vornbäumen

Neue Märtyrer braucht das Land? Ach, bitte nicht! Und schon gar nicht im Parlament. Es gibt doch auch sonst noch genug zu tun, und Lothar Bisky – „der Lothar“, wie Gregor Gysi so gerne und so kumpelhaft zu sagen pflegt – taugt dazu auch gar nicht.

Bisky ist nun 64, er ist kein großer Rhetoriker, und im Privaten hat er seinen schon bald anstehenden Rückzug aus der Politik längst vorbereitet. Im Grunde ist der Mann müde, seit geraumer Zeit; müde geworden an den Verhältnissen, die nie so waren, wie sie in seiner Vorstellungswelt mal hätten sein sollen. Doch er hat seinen Frieden gemacht, mag sein, insgeheim sogar mehr mit dieser für ihn neuen Republik als mit seiner alten Partei, die ihm in 1001 Vorstandssitzungen in bisweilen absurdem sektiererischen Eifer 1000 und ein Mal auf die Nerven gegangen ist. Er war im Wesentlichen der „Integrationsopa“ in der „Wärmestube PDS“. Das hat er selbst so gesehen, oft. Er hatte darin sogar eine historische Funktion. Einer wie er macht dieses Land trotz aktiver DDRVergangenheit nicht qua Anwesenheit an protokollarisch hoher Stelle kaputt. Man hätte ihn also getrost wählen können, am Dienstag bei der konstituierenden Sitzung des 16. Deutschen Bundestags, als einen von insgesamt sechs Stellvertretern des Bundestagspräsidenten. Gebührend unspektakulär. Obwohl er Parteichef ist. So wie in Brandenburg, wo es Bisky zum Landtagsvizepräsidenten gebracht hat, vielleicht sogar mit CDU- Stimmen.

Es stimmt schon – er hat keinen Anspruch aufs Amt, nicht er als Person. Seine Partei aber sehr wohl, so will es die Geschäftsordnung des Bundestags, der parlamentarische Komment. Auch wenn es nun anders dargestellt wird, spricht viel dafür, dass im Halbdunkel der großkoalitionären Unübersichtlichkeit sehr absichtsvoll gegen diesen Komment verstoßen wurde, um die Partei zu treffen, nicht die Person. Das ist daneben gegangen, in jeder Hinsicht. Bisky ist sichtlich getroffen, und die Partei jubiliert, innerlich. Soviel Dialektik haben sie noch drauf.

Von „Demütigung“ können sie nämlich nun reden, bei der Linkspartei, von „Strafaktionen“, die auch die Wähler träfen. Ungerechtigkeiten beklagen – das werden sie noch oft tun, sehr oft. Das können sie gut, seit ehedem. Dies war noch immer der Freifahrtschein in die Herzen derer, die Politik vornehmlich als Protest gegen „die da oben“ verstehen. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine, sie haben unversehens eine Monatskarte in die Hand gedrückt bekommen. Insbesondere Lafontaine wird sie nutzen, um seine Seelenverwandtschaft mit dem Osten dokumentieren zu können. „Wir haben Zeit“, sagt Lafontaine. Da hat er Recht. Der Bundestag tritt erst in ein paar Wochen wieder zusammen.

Und dann? Am besten wäre: Kirche im Dorf lassen! Vierter Wahlgang und durch. Unmut ja, aber per Enthaltung, nicht per Nein-Stimme. Das reicht für Bisky, fürs eigene Seelenprotokoll und deckt den politischen Kollateralschaden noch am passabelsten ab. Dann allerdings wäre es höchste Zeit, darüber nachzudenken, wie viel Raum die „deutsche Einheit“ in den strategischen Erwägungen der designierten Koalitionsfraktionen einnehmen sollte. Der parlamentarische Fehlstart war kein Ruhmesblatt für die scheidenden Fraktionschefs Angela Merkel und Franz Müntefering. Damit sie sich nicht höheren Orts auf ewig aneinander binden müssen, wäre es in beider Sinne, die Linkspartei nistete sich nicht auf Dauer im Bundestag ein. Solange sie aber da ist, bekämpft man sie mit Respekt.

So viel Dialektik sollten sie draufhaben.

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