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Eskalation im Stadtpark. In Stuttgart kommt es am 30. September zu schweren Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Gegnern des Bahnprojekts Stuttgart 21.

© dapd

Aus hartem Holz: Stuttgart 21: Eskalation im Stadtpark

Sie wollen "ihren" Stadtpark schützen, und die alten Bäume, die darin stehen. Dass 300 von ihnen gefällt werden sollen, erbost die Gegner des Großprojekts Stuttgart 21 mehr als alles andere. Doch die Polizei demonstriert Härte.

So etwas kennen sie in Stuttgart nicht. Obwohl sie schon einiges gesehen haben in der letzten Zeit, die zum Protest formierten Bürger der Stadt. Auch diesmal sind sie wieder eine bunte Wand aus wetterfesten Anoraks, Regenschirmen und -mänteln, die sich vor dem Lastwagen der Polizei auftürmt. Dutzende von Demonstranten haben sich wenige Meter vom großen Biergarten im Schlossgarten entfernt auf einem der asphaltierten Wege niedergelassen. Manche von ihnen haben sich untergehakt, andere stehen daneben und brüllen den Polizisten ihre Wut ins Gesicht, in die sich Angst mischt, vor dem, was noch kommen könnte. „Schämt euch, schämt euch!“ skandieren einige. „Keine Gewalt!“ rufen andere beschwörend aus den hinteren Reihen. Doch dieser Wunsch wird sich nur teilweise erfüllen.

Es ist der Tag X. Jener Tag, an dem der Stuttgarter Polizeipräsident Siegfried Stumpf am frühen Nachmittag ankündigt, was zuvor bereits durchgesickert war: Die ersten Bäume im Mittleren Schlossgarten sollen noch in der Nacht zum Freitag gefällt, um Mitternacht die Sägen angesetzt werden. Hundertschaften der Polizei sind aus mehreren Bundesländern zusammengezogen und nach Stuttgart gebracht worden. Es geht um Bäume, es geht um alles.

Auch die Gegenseite ist vorbereitet. Die, die sich Parkschützer nennen und die Rodung von zum Teil 200 Jahre alten Bäumen verhindern wollen, haben schon am Vortag von dem bevorstehenden Großeinsatz der Polizei erfahren. Und ihre Antwort ist ein Ohren betäubendes Pfeifkonzert, unter dem die ersten Polizisten in den späten Vormittagsstunden in den Park einrücken. Tausende von Stuttgart-21-Gegnern erwarten sie. Von Lastwagen schleppen die Beamten Absperrgitter herunter und bauen diese auf der Seite des Parks auf, die an den bereits geschliffenen Kopfbahnhof angrenzt. Fast zeitgleich strömen Hunderte von Jungen und Mädchen in den Schlossgarten. Sie hatten sich an einem Schülerprotest gegen das Projekt in der nahe gelegenen Lautenschlagerstraße beteiligt.

Zäune, Jugendliche, Polizisten – früh kommt es immer wieder zu Rangeleien. Vuvuzelas dröhnen, Ratschen knattern, ein Schlachtruf klingt den Polizisten in den Ohren: „Wir sind viele, wir sind stark, Hände weg von unsrem Park!“ Die Polizei soll den Schlossgarten räumen, doch schon nach wenigen Stunden der Auseinandersetzung wird klar, wie schwer diese Aufgabe ist. In den Grünanlagen spielen sich Jagdszenen ab, während Ministerpräsident Stefan Mappus in einem anderen Teil der Stadt mit Bauern zusammensitzt und Bier trinkt.

Um jeden Meter wird gerungen - der politische Wille schiebt

Längst herrscht Wahlkampf in Baden-Württemberg, und vielleicht wird dieser Tag der Eskalation einmal als derjenige gelten, an dem die Merkel-CDU ihre Macht im ganzen Land verspielte. Sie hat sich selbst zum Regieren gezwungen. Kann sein, dass sie es in Stuttgart zu weit treibt, weil es weit weg sein mag von Berlin. Aber die Bilder von normalen Bürgern in durchnässten Kleidern und mit im Reizgas brennenden Augen, von Bürgern, denen die Worte ausgehen und die nicht mehr verstehen, sie entfalten ihre Wirkung überall. Dabei folgt die Dynamik des Protests zunächst dem üblichen Hin- und-her. Einige Demonstranten klettern auf Bäume, andere beginnen mit spontanen Sitzblockaden vor Polizei- und Baufahrzeugen. Während sich an einem Ort die Lage beruhigt, kochen die Emotionen wenige Meter entfernt wieder hoch.

In der Menge halten sich auch zahlreiche prominente Gegner des Großprojekts auf. Der Kabarettist Peter Grohmann verteilt Anti-Stuttgart-21-Schilder, der SPD-Altvordere Peter Conradi ist da und auch der Stuttgarter Fraktionsvorsitzende der Grünen, Werner Wölfle. Er formuliert in ruhigem Tonfall harsche Worte der Empörung: „Rambo zeigt sein Gesicht“, sagt er und spielt damit auf Ministerpräsident Mappus an. „So ein Einsatz ausgerechnet am Tag einer Schülerdemo ist unverantwortlich.“ Für all diejenigen, die noch an einen Dialog zwischen Gegnern und Befürwortern geglaubt hätten, sei dies ein besonders bitterer Tag.

Später wird es heißen, dass die Schüler eingekesselt worden seien. Während die Polizei davon spricht, lediglich Absperrgitter aufgestellt zu haben. Schultern prallen dabei aufeinander, Ellenbogen werden auf beiden Seiten ausgefahren. Die Einsatzkräfte tragen Spezialkleidung, die Arme, Knie und Schienbeine schützt. Einzelne Demonstranten stürzen zu Boden. Ein älterer Herr ruft: „Wir verteidigen hier unsere Demokratie.“ „Und wir den Beschluss einer Mehrheit“, murmelt ein Polizist kaum hörbar.

Plötzlich klettern Dutzende von Jugendlichen auf die beiden Lastwagen mit den Absperrgittern. Die Polizei warnt in scheppernden Durchsagen davor, dass man Wasserwerfer einsetzen werde, falls die Fahrzeuge nicht umgehend geräumt würden. Die Demonstranten bleiben sitzen, sie wippen auf dem Lastwagen, es sieht aus, als hätten sie Spaß. Knapp eine halbe Stunde vergeht. Dann spielen sich Szenen ab, die der Auseinandersetzung um Stuttgart 21 eine völlig neue Qualität geben.

Vieles entzieht sich der Planung und Kontrolle

Als Spezialkräfte der Polizei die Kinder von den Lastwagen herunterziehen, kommt der Treck immer noch nicht voran. Zum ersten Mal setzt die Polizei Pfefferspray ein, wenig später Wasserwerfer. Einzelne Demonstranten werden von anderen Protestierenden aus der heißen Zone geschleppt: Die Augen haben sie zusammengekniffen und lassen sie sich von anderen Parkschützern mit Wasser ausspülen. Nirgendwo sind Sanitäter zu sehen. Jugendliche rollen Kanalrohre, die für das Grundwassermanagement vorgesehen sind, auf die Wege und nutzen sie als Barrikaden. Im Vorfeld haben sich die Aktivisten wiederholt beschworen, friedlich vorzugehen. Doch vieles von dem, was an diesem Herbsttag in den sonst so beschaulichen Anlagen passiert, entzieht sich der Planung und Kontrolle.

Kein anderes Thema ist im Streit um den neuen Tiefbahnhof so mit Gefühlen aufgeladen, wie jenes der uralten Parkbäume, die gefällt werden sollen. Die Bäume sind in den vergangenen Monaten mehr noch als der Nordflügel des Bonatz-Baus zu einem Symbol des Streits geworden. Auch, wenn es zunächst nur um 25 Bäume geht, erreicht die Auseinandersetzung eine bis dato nicht gekannte Schärfe.

Die Rangeleien zwischen Polizei und Demonstranten gehen teilweise in Prügeleien über. Um die Menge zu zerstreuen, spritzen Beamte Pfeffersprayfontänen in die Ausharrenden. Meter für Meter bahnt sich die Karawane einen Weg durch den Park. Immer neue Einsatzhundertschaften werden aufgeboten, die Beamten tragen inzwischen ihre Helme. Auf die prasseln vereinzelt Kastanien nieder, die einzigen Wurfgeschosse, derer sich die Jugendlichen in ihrem Zorn bedienen. Eine junge Frau trägt eine Platzwunde an der Nase davon, ein blutüberströmter Demonstrant wird von Mitstreitern weggeschleppt, Bierbänke werden zu Krankenliegen. „Aufhören, aufhören“, skandiert die Menge. Die Antwort der Polizei: „Räumen Sie die Wege im Park, wir werden sonst weiter unmittelbaren Zwang gegen Sie anwenden.“

Auf Höhe des Biergartens im Mittleren Schlossgarten gerät der Wagen mit den Absperrgittern erneut ins Stocken. Diesmal spritzt der Wasserwerfer auch gezielt. Ein junger Mann wird von der Wucht des Strahls voll im Gesicht getroffen und fällt von einem der herbeigeschleppten Biertisch. Ein paar Jugendliche wollen sich mit Sitzblockaden und verbalem Protest nicht mehr zufrieden geben, sie werfen Rauchbomben in Richtung Polizei. Während die Beamten löschen, werden die Randalierer von Parkschützern umringt. „Was macht ihr da, sofort raus aus unserem Park“, brüllt ein Demonstrant. Das hat Erfolg – die Halbstarken ziehen sich zunächst zurück.

Derweil rücken die Wasserwerfer und Einsatzkräfte unaufhaltsam weiter vor. „Wir sind das Volk“, rufen die Demonstranten, die nur langsam zurückweichen. Der politische Wille ist zum Geschiebe um jeden Meter geworden. Manche ziehen Vergleiche mit den Montagsdemonstrationen in Leipzig. Einer, der damals bei der friedlichen Revolution hautnah dabei war, ist der ehemalige Bürgerrechtler und heutige CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Feist. Der Stuttgarter CDU-Kreisverband hat ausgerechnet ihn als Festredner für die Feierstunde zum Tag der Deutschen Einheit am Sonntag engagiert. Die ersten der 300 alten Bäume werden dann schon abgesägt sein.

Thomas Braun, Erik Raidt

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