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Ausbeutung: 500 Euro für 18 Monate

Arbeiten von sieben Uhr morgens bis ein Uhr nachts, statt Lohn nur Einschüchterungen: Sklavenarbeit gibt es auch in Deutschland. Zu einer Anklage der Täter kommt es selten.

Berlin - Das äthiopische Spezialitätenrestaurant in Berlin-Mitte hatte einen guten Ruf, in einem Stadtmagazin wurde seine Küche gelobt. Doch die Köchin des Restaurants musste arbeiten wie eine Sklavin. Die Arbeitstage der in Äthiopien Angeworbenen begannen morgens um sieben und endeten nachts um eins oder zwei. Des Deutschen nicht mächtig, lebte sie völlig isoliert im Haushalt des Restaurantbetreibers, der ihr für eineinhalb Jahre Arbeit nur 500 Euro zahlte. Weggehen wollte sie trotzdem nicht – ihr Arbeitgeber hatte der Äthiopierin Angst eingeflößt: Die Deutschen seien rassistisch, sie würden sie zurückschicken oder gar foltern. Erst als die 44-Jährige ins Krankenhaus musste, konnte sie Kontakte knüpfen und ihre Flucht vorbereiten, die ihr im Dezember 2005 gelang. Die Köchin verklagte ihren Ausbeuter; das Amtsgericht Tiergarten verurteilte ihn 2008 zu sechs Monaten auf Bewährung.

Diese Geschichte ist kein Einzelfall: Menschenhandel in Verbindung mit Zwangsarbeit ist auch in Deutschland ein Problem, und zwar nicht nur im Bereich der Prostitution. Die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatistik für Berlin verzeichnet für die Jahre 2007 und 2008 262 Fälle von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und 41 Fälle zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft. Und auch die Beratungsstellen haben regelmäßig mit solchen Fällen zu tun: Barbara Eritt von InVia Berlin, einer Einrichtung für katholische Mädchensozialarbeit, hat 2008 über zehn neue Fälle von Zwangsprostitution und Sklaverei betreut; die Gesamtzahl seit der Gründung von InVia vor zwölf Jahren schätzt sie auf über 200.

Ähnliches berichtet Nivedita Prasad von Ban Ying. An die Berliner Beratungsstelle wenden sich im Jahr zehn bis 15 Opfer von Menschenhandel; die meisten aus Asien. Prasad sieht es als Erfolg, wenn die Frauen sich aus ihrer Notsituation befreien können; zur Anklage der Täter kommt es meistens gar nicht. „Das liegt einerseits daran, dass sie aus Angst vor ihren Arbeitgebern oft nicht klagen wollen. Andererseits sind viele illegal hier. Sie würden abgeschoben, wenn sie vor Gericht gingen“, erklärt die Projektleiterin. Dieses Problem haben auch die Gewerkschaften erkannt, die derzeit an einem Papier zum Thema arbeiten.

Auch die äthiopische Spezialitätenköchin wurde von Ban Ying beraten. Erstmals sei damit in Berlin ein Urteil wegen „Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft“ ergangen, sagt Prasad. In Deutschland ist jeglicher Menschenhandel erst seit 2005 strafbar; zuvor war er das nur für Prostitution. „Bisher hat die Staatsanwaltschaft jedoch nur wenige Fälle eröffnet“, sagt Nivedita Prasad. Das liege jedoch nicht nur an der schwierigen Beweislage: „Die Staatsanwälte können sich auch oft nicht vorstellen, dass es Zwangsarbeit außerhalb des Sexgewerbes gibt.“ Eine Studie des Oldenburger Sozialwissenschaftlers Norbert Cyrus von 2005 liefert indes zahlreiche Beispiele für Arbeitsausbeutung in Deutschland, die meisten Fälle neben der Prostitution in Haushalten, der Landwirtschaft, im Baugewerbe, der Gastronomie und im Schaustellergewerbe.

Nach Ansicht der Bundestagsabgeordneten Angelika Graf, Menschenrechtsexpertin der SPD, brauchen illegale Einwanderer vor allem mehr Rechte. „Durch die Vergabe von kurzen Aufenthaltstiteln könnte legale Migration befördert werden.“ Nach deren Ablauf müsse jedoch eine erneute Einreise nach Deutschland möglich sein. Zudem dürften die Aufenthaltstitel nicht an nur einen Arbeitgeber gekoppelt sein, da ein solches Abhängigkeitsverhältnis Zwangsarbeit fördere.

Simone Sohl

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