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Politik: Ausgelacht

SPD-Politiker fordern einen Neuanfang. Und Scholz wird in den eigenen Reihen nicht mehr richtig ernst genommen

Von Christoph Schmidt Lunau,

Antje Sirleschtov und

Peter Siebenmorgen

Man darf es wohl als eine Art Bewerbungsschreiben deuten. Auch wenn Sigmar Gabriel in seinem Beitrag für die „Bild“ politisch korrekt vermerkt: „Die SPD braucht jetzt nichts weniger als eine Personaldebatte.“ Bloß hat der Niedersachse zwei Sätze davor im Kern bestätigt, dass genau diese Personaldebatte schon im Gange ist: „Viele reden nun von Personen – im Kabinett, in der Partei.“ Das kann man wohl sagen. Tatsächlich hat spätestens die Parteiratssitzung am Montag eine Stimmung gebündelt, die von dort zurück an die Basis wirkt. Der Ruf nach einem Neuanfang ist unüberhörbar – einem inhaltlichen, einem handwerklichen, aber eben auch einem personellen.

Es sind vor allem Landespolitiker, die sich äußern. „Die Schlagzahl ist zu hoch. Das ist kontraproduktiv“, sagt der SPD-Chef in NRW, Harald Schartau, dem „Handelsblatt“. Sein Generalsekretär Mike Groschek war am Montag im Parteirat noch deutlicher geworden. Nachdem er Fehler und Pannen der Regierung aufgezählt hatte, verlangte Groschek: „Berlin hat uns gegenüber die Pflicht zur Wiedergutmachung und wir haben ein Recht darauf.“ Niemand widersprach, der Kanzler habe geschwiegen, heißt es.

Was Schartau am Tempo missfällt, bringt ein SPD-Präsidiumsmitglied auf die Formel, es sei, als ob die Regierung in Berlin sich einen „eigenen Kosmos geschaffen hat“ – einen, dessen Gesetzmäßigkeiten die Parteimitglieder an der Basis weder verstehen noch in den Landtags- und Kommunalwahlen in diesem Jahr den Menschen glaubhaft erklären können. Dabei gehe es nicht nur darum, wie gerecht die Lasten auf schmalen und breiten Schultern verteilt werden. Sondern auch, wie das Parteivorstandsmitglied Andrea Nahles dem Tagesspiegel sagt, „ob es Klarheit und Perspektiven in der Politik gibt“.

Dass die Klärung dieser Frage drängt, ist inzwischen allen bewusst. „Wenn die nach Hamburg nichts machen, kann man froh sein, wenn das Jahr rum ist“, sagt ein SPD-Landespolitiker. Was zu tun wäre? In zwei Richtungen sind Forderungen zu hören. Inhaltlich erinnern viele an Beschlüsse des Bochumer Parteitags, die gefasst, aber nie umgesetzt worden sind: Erbschaftsteuer, Ausbildungsabgabe, Bürgerversicherung.

Aber da ist auch noch die Sache mit den Personen. Kritik zieht vor allem Generalsekretär Olaf Scholz auf sich. Der hat, berichten Teilnehmer, den Parteirat mit den Sätzen eröffnet: „Wir sind gut ins neue Jahr gekommen. Die Weimarer Thesen waren ein Erfolg.“ Wieherndes Gelächter des ganzen Saales, sagt der Mann, sei die Antwort gewesen. Schon werden Namen genannt: der von Ute Vogt voran, Staatssekretärin im Bundesinnenministerium und Landesvorsitzende in Baden-Württemberg. Im Parteiblatt „Vorwärts“ steht gerade ein großes lobendes Porträt der parteiintern nicht unumstrittenen Politikerin. „Es bleibt uns wohl die Ute Vogt nicht erspart“, sagt ein führender SPD-Landespolitiker.

Aber auch auf Kabinettsmitglieder zeigen erste Sozialdemokraten, vorerst noch anonym, mit den Fingern: Manfred Stolpe, Vater des Maut-Desasters, und Forschungsministerin Edelgard Bulmahn gelten vielen als Fehlbesetzung, bei Hans Eichel und Ulla Schmidt machen manche Fragezeichen.

Der Kanzler räumt Fehler ein: Seine Botschaft, dass Deutschland innovativer werden müsse, komme derzeit beim Wähler nicht im gewünschten Maße an, sagt er der Wochenzeitung „Die Zeit“. Aber Gerhard Schröder macht auch keinen Hehl daraus, dass er sich über manche Kritik ärgert: „Alles wird überlagert von der Frage, dass dieses Land in Bedrängnis kommt, weil man zehn Euro im Quartal beim Arzt abliefern soll. Als wenn das die Schicksalsfrage der Nation wäre!“ Fraktionschef Franz Müntefering warnt zugleich vor dem Versuch, das Reformtempo um kurzfristiger Wahlkampfhilfe willen zu drosseln oder den Kurs zu wechseln. Aber das wollen viele der Kritiker gar nicht. Sie würden den Kurs nur gerne verstehen.

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