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14 Millionen Menschen leben in Guatemala. Das Land ist die größte Volkswirtschaft in Zentralamerika, aber mehr als die Hälfte der Bürger lebt in Armut. Viele setzen bei der Präsidentenwahl ihre Hoffnung auf den ehemaligen General Otto Pérez Molina, hier im Hintergrund auf einem Wahlplakat zu sehen.

© Jorge D. Lopez/Reuters

Ausnahmezustand: Guatemala ist fest im Griff der Kartelle

Seit über einem Jahr herrscht in Guatemala absoluter Ausnahmezustand. Die Macht im Land liegt in den Händen der Drogenmafia. Am Sonntag wird gewählt.

Enrique Dardón erwischte es, als er gerade beim Frisör war: Ein Auftragskiller betrat den Laden, näherte sich dem Bürgermeisterkandidaten aus San José Pinula und drückte ab. Seinen Konkurrenten Augusto Enrique Ovalle Barrera traf es, als er nichtsahnend mit seinem Auto unterwegs war und von einem Killerkommando auf Motorrädern abgefangen wurde. Der Kampf um die Macht wird mit harten Bandagen ausgefochten in Guatemala. 36 Kandidaten starben bisher in diesem Wahlkampf, der am Sonntag im Urnengang gipfelt. Gewählt werden ein neuer Präsident, ein neues Parlament und Hunderte von Bürgermeistern.

Seit fast einem Jahr herrscht Ausnahmezustand, in vielen Regionen wütet die Drogenmafia. Gewalt und Armut geben sich die Hand in der größten Volkswirtschaft Zentralamerikas, die bis Ende der 90er Jahre Schauplatz eines mörderischen Bürgerkriegs war. Und ausgerechnet einer, der damals als General die linke Guerilla bekämpfte und schwerer Menschenrechtsverletzungen bezichtigt wird, hat Umfragen zufolge beste Aussichten auf das Präsidentenamt: Otto Pérez Molina.

Es ist sein zweiter Anlauf auf die Präsidentschaft, vor vier Jahren verlor er gegen den Amtsinhaber Álvaro Colom. Doch da in Guatemala eine Wiederwahl nicht möglich ist, hat der schlanke Mann mit dem grauen Kurzhaarschnitt, den rechtspopulistischen Parolen und dem zackigen Auftreten gute Chancen. Nicht nur die Statistik begünstigt ihn – seit 1996 haben stets die bei der vorangegangenen Wahl Zweitplatzierten ihr Vorhaben im nächsten Anlauf geschafft –, sondern auch die Justiz. Die hat nämlich seine schärfste Konkurrentin, Ex-First-Lady Sandra Torres, wegen Verfassungsverstoßes aus dem Rennen genommen, denn Verwandte und Eheleute des amtierenden Staatschefs dürfen nicht antreten – da nutzte auch die hastige Scheidung von Präsident Álvaro Colom im Frühjahr nichts. Das „sozialdemokratische“ Duo Colom-Torres hatte sich mit populistischen Sozialprogrammen Sympathien der Armen verschafft – und das sind viele. Gut die Hälfte der gut 14 Millionen Guatemalteken lebt unter der Armutsgrenze, mehr als zehn Prozent von rund einem Dollar am Tag. Zwar hat Guatemala die Wirtschaftskrise gut überstanden, das Pro-Kopf-Einkommen liegt aber mit jährlich 2800 US-Dollar sehr niedrig.

Deshalb verspricht Pérez diesmal nicht nur eine „harte Hand“ gegen das Verbrechen, er will auch die beliebten Sozialprogramme Coloms übernehmen und dafür die Steuern erhöhen. Die liegen traditionell bei mageren zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Eine Erhöhung konnte die kleine, aber sehr einflussreiche Unternehmerelite stets verhindern. Diesmal jedoch sind Pérez’ Wahlkampfkassen auch ohne ihre Hilfe gut gefüllt – mit Geldern aus dem Drogenhandel, so munkelt man. Beweise gibt es jedoch nicht, und der Kandidat selber schweigt sich aus.

In einem derart schwachen Staat wie Guatemala, in dem selbst die Justiz so korrupt ist, dass die Regierung eine unabhängige UN-Ermittlerkommission zu Hilfe rief, setzen Umfragen zufolge 40 Prozent der Befragten auf eine starke Führungsfigur wie Pérez. Doch ob der 60-jährige Ex-Militär – abgesehen von einem wohlklingenden Wahlkampfprogramm – eine Vision mitbringt, bezweifeln viele Beobachter, darunter Sandino Asturias: „Die grassierende Unsicherheit ist ein Geschäft, an dem vor allem ehemalige Militärs gut verdienen.“ 20 000 regulären Polizisten stehen 150 000 private Wachleute gegenüber. Im Land zirkulieren 414 000 Waffen legal, dreimal so viele illegal. Und Pérez’ Kampfgenossen, die sich in einer Gruppe zusammengeschlossen haben, kontrollieren die Zollbehörden des Landes – also das Nadelöhr, durch das nicht nur Waffen, sondern auch Drogen und Menschen geschmuggelt werden.

Die Gewalt habe Tradition in Guatemala und sei als Mittel der politischen Kontrolle legitimiert, so der Sicherheitsexperte Otto Navarro. Doch deren Schöpfer scheinen inzwischen die Kontrolle verloren zu haben. Die Drogenkartelle haben Guatemalas korrupte, schwache Institutionen infiltriert. Mancherorts sind es die Capos, die Straßen und Hospitäler bauen, und entsprechend von der Bevölkerung unterstützt werden – oder sie zur Gefolgschaft zwingt.

Für die Kandidatenmorde in Pinula wurde unter Mithilfe der UN-Ermittler ein Verdächtiger festgenommen: Luis Marroquin, ein örtlicher Jungunternehmer und Bürgermeisterkandidat für die rechtspopulistische Partei Lider, der mit seinen Konkurrenten kurzen Prozess gemacht hatte.

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